Rede bezüglich der Kirchenaustrittsgebühr

Rede im Berliner Abgeordnetenhaus, 30. Mai 2013 (Videomitschnitt des rbb)

Susanna Kahlefeld macht geltend, dass die Gebühr für Kirchenaustritte dem tatsächen Verwaltungsaufwand entsprechen müsse. Es gebe fünf Bundesländer, die ebenfalls 30 Euro verlangten. Über die Höhe der Gebühr sollte im Ausschuss beraten werden.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Der Senat beweist mit dem vorgelegten Gesetz, den Austritt aus der katholischen und evangelischen Kirche gebührenpflichtigzu machen, einen gesunden Geschäftssinn. Wenn die Nachfrage nach einem Produkt steigt, kann man den Preis erhöhen. In diesem Fall ist es so, dass die Kirchenaustritte zunehmen, mit guten Gründen, und der Senat eine Einnahmequelle entdeckt hat. Da auf der Ausgabenseite aber leider Flughäfen und Autobahnstummel stehen, der ökonomische Verstand also leider nicht gleichmäßig verteilt ist, wird uns auch diese Gebühr nicht retten.

Für die Bürgerinnen und Bürger ist es ärgerlich, wenn eine neue Verwaltungsgebühr eingeführt wird, wenn man also plötzlich für etwas bezahlen muss, was vorher kostenlos war. Wir halten es jedoch für angemessen, dass für die Dienstleistungen, die die Amtsgerichte erbringen, künftig gezahlt wird. Über die Höhe der Gebühr und ob sie angemessen ist, werden wir im Ausschuss noch zu diskutieren haben. Fünf Bundesländer verlangen ebenfalls 30 Euro. Sieben Bundesländer können die Leistung zum Teil erheblich günstiger anbieten. Da hier die Verhältnismäßigkeit zwischen Verwaltungsaufwand und nutzen der Amtshandlung für den Empfänger, die Empfängerin geboten ist, werden wir noch mal genau draufschauen.

Aus religionspolitischer Sicht ist zu sagen: Nein! Eine Gebühr wird niemanden abhalten, aus der evangelischen oder katholischen Amtskirche auszutreten, egal ob man aus Überzeugung austritt oder die Kirchensteuer nicht mehr bezahlen will. Sowohl der ideelle Wert, aus der Kirche als Körperschaft öffentlichen Rechts auszutreten, als auch die künftige Ersparnis der Kirchensteuer sind den Austretenden mehr wert als eine angemessene Verwaltungsgebühr.

Ich möchte in diesem Zusammenhang an Heinrich Böll erinnern, der in den Siebzigerjahren für den, wie er es nannte, modifizierten Austritt plädiert hat. Nach der bitteren Erfahrung, dass die Amtskirche – in Bölls Fall war das die katholische Amtskirche – den Widerstand gegen die Nazis im Stich gelassen und die Kooperation vorgezogen hat, war es für ihn unmöglich, Mitglied dieser Organisation zu bleiben, zumal die Kumpanei der Kirchenfunktionäre mit den Diktatoren, z. B. im katholischen Südamerika, munter weiterging. Aus der Weltgemeinschaft der katholisch Gläubigen ist er aber niemals ausgetreten, denn der Glaube und die Wärme dieser Gemeinschaft hatten ihn den Krieg und das Grauen überleben lassen. Gebühren, darüber hätte er nicht mal nachgedacht.

Noch ein anderer Punkt: Über mögliche Gebühren für Dienstleistungen, die die Kirchen erheben würden, wenn es die Staatsverträge nicht mehr gäbe, wenn die katholische und evangelische Kirche sich also finanzieren und organisieren würden, wie die Freikirchen und die Moscheegemeinden es derzeit schon tun, können wir nur spekulieren. Auch wenn wir als Bündnis 90/Die Grünen die Trennung von Kirche und Staat befürworten, würde das in diesem Fall nicht unbedingt zu einem anderen Ergebnis führen.

Über die Höhe der Gebühr werden wir in den Ausschüssen noch diskutieren müssen. Es hätte einen mehr als schlechten Beigeschmack, wenn der Senat aus den Gründen, die die Menschen derzeit vermehrt zum Kirchenaustritt bewegen, mangelhafte Aufklärung des sexuellen Missbrauchs, das kirchliche Arbeitsrecht, Rehabilitierung von Holocaustleugnern durch den Papst, einen finanziellen Gewinn erwirtschaften würde. Die Gebühr muss dem Aufwand angemessen sein, und sie darf niemandem den Austritt unmöglich machen.

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