Dokumentation "multiKULTUR Fachgesprächsreihe" (pdf)
Berlin hat eine große kulturelle Vielfalt: multiKULTUR. Auf der einen Seite steht die Vielfalt unterschiedlicher Kulturakteure in der Stadt. Dazu gehören KünstlerInnen und Kulturschaffende, ebenso wie Akteure der Zivilgesellschaft, Institutionen, Verwaltungen und Akteure der Kulturwirtschaft. Auf der anderen Seite wird Berlin auch durch eine große Heterogenität der Stadtbevölkerung geprägt.
Die zunehmende Vielfalt kultureller Ausdrucksformen wird hier sichtbar und erfahrbar. Neue und hybride künstlerische Formate entstehen und leisten wiederum Impulse für das Zusammenleben in einem sich permanent verändernden Berlin.
Stetige Zuwanderung sowie die Berlinerinnen und Berliner mit Migrationshintergrund tragen zu diesem kulturellen Reichtum mit ihrer Musik, mit Theaterformen und Sprachbildungen, mit Festkulturen und Formen der kulturellen Begegnung wesentlich bei. Sie gestalten das Zusammenleben und leisten darüber hinaus mit ihrer kulturellen Arbeit einen Beitrag zum Image Berlins als eine offene, kreative Stadt. Sie sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Berlin. All das geschieht zu großen Teilen selbstorganisiert, auf hohem künstlerischem Niveau, oftmals ehrenamtlich und selbst-finanziert.
Globalisierungsprozesse, Migrationsbewegungen und der zunehmende Einfluss neuer Informations- und Kommunikationstechnologien haben zu einer Vielfalt künstlerischen Schaffens, der Kulturproduktion, der Kulturverbreitung und deren Rezeption beigetragen. Kulturelle Vielfalt, Wissen und Kreativität sind heute mehr denn je wichtige Ressourcen für die nachhaltige Entwicklung unserer heterogenen Stadtgesellschaft. Sie stellen uns aber auch vor neue Herausforderungen, denn die Entfaltung kultureller Vielfalt braucht günstige Rahmenbedingungen, die auf sich rasch wandelnde gesellschaftliche Realitäten reagieren können.
Nach wie vor bestehen jedoch Hierarchien in der Kulturlandschaft, wie die Unterscheidungen zwischen E- und U-Musik, zwischen Hochkultur und Subkultur oder zwischen Hochkultur und „bloßer Folklore“. Diese Hierarchien manifestieren sich in der Infrastruktur, in den Aufführungsmöglichkeiten, in den Verwertungsgesellschaften, in der Kultur- und Förderpolitik sowie in den Kulturinstitutionen und behindern eine gleichwertige Entwicklung unterschiedlicher kultureller Ausdrucksformen.
Mit unserer Fachgesprächsreihe „multiKULTUR - mitgebracht und neu gemacht“ hatten wir uns zum Ziel gesetzt, uns – der UNESCO-Konvention zur „Kulturellen Vielfalt“ folgend – mit der Pluralität und Breite des kulturellen Lebens in Berlin zu beschäftigen. Zum Auftakt der Veranstaltungsreihe stellten wir unseren Migrationspolitischen Frühjahrsempfang im März 2014 unter das gleichnamige Motto.
Im Fokus der unterschiedlichen Fachgespräche zu den Themen „Global Music“, „Selbstorganisierte Kulturarbeit in Migrantenorganisationen“, „Interkultur und Multikultur in der Musikschule“ und „Zur Situation von Roma-Kulturschaffenden in Berlin“ standen die Fragen:
Wo und unter welchen Bedingungen findet in Berlin selbstorganisierte Kulturarbeit und kulturelle Bildung statt?
Wie gestaltet sich die Arbeit im Konkreten?
Welche Bedarfe sind vorhanden? Welche Barrieren gibt es?
Welche Erfahrungen machen die Akteur*innen in diesem Bereich?
Ziel war es, gemeinsam mit den Akteurinnen und Akteuren erste Ideen zu entwickeln, um die selbstorganisierte Kulturarbeit und kulturelle Bildung in Berlin zu unterstützen, öffentlich zu machen und zu vernetzen.
Eines der zentralen Ergebnisse der Fachgesprächsreihe ist, dass Kultur in der Vielfalt ihrer Ausdrucksformen als Kommunikationsmittel für den Austausch und das Zusammenleben in der multikulturellen Gesellschaft unabdinglich ist. Selbstorganisierte Kulturarbeit und kulturelle Bildung ist inzwischen zu einem wesentlichen Teil des kulturellen Lebens in Berlin geworden. Erst durch sie ist überhaupt eine breite Vielfalt kulturellen Schaffens möglich geworden. Auf der anderen Seite fehlt es jedoch an Anerkennung, Wertschätzung und Unterstützung sowie institutioneller Förderung, die von einer Gleichwertigkeit kultureller Äußerungen in postmodernen Gesellschaften ausgehen würde.
Trotz der Fokussierung auf unterschiedliche Bereiche kulturellen Schaffens in den Fachgesprächen kamen wir zu ähnlichen Ergebnissen. Der fehlende Zugang zu öffentlicher Infrastruktur, hier im besonderen zu Raum für Proben und Auftrittsmöglichkeiten, die Herausforderung eine wirtschaftlich tragfähige Kulturarbeit zu leisten, die fehlende öffentliche und mediale Wertschätzung sowie die intransparente und durch Hierarchisierungen geleitete Förder- und Vergabestrukturen wurden als Hauptbarrieren genannt. Kritisiert wurden des Weiteren die finanzielle Ausstattung und die Personalsituation in Institutionen, Beratungs- und Mittlerstrukturen. Diese wollen zwar eine interkulturelle Öffnung leisten, sind aber oft durch finanzielle Engpässe nicht in der Lage diese in der gewünschten Art und Weise umzusetzen.
Auch bei den formulierten Bedarfen kam es zu wesentlichen Überschneidungen. So wurde eine zentrale Vermittlungsstelle für Probe- und Arbeitsräume sowie Auftrittsmöglichkeiten, die Schaffung von Auftrittsorten und die Ausstattung dieser mit Mindeststandards als ebenso wichtig eingestuft wie die Zurverfügungstellung von mehr Fördergeldern für künstlerische und kulturelle Arbeit und eine stärkere Transparenz in den Antrags- und Vergabekriterien. Des weiteren wurden ein verbesserter Zugang zu öffentlicher Infrastruktur und Ressourcen, die Vernetzung mit bezirklichen und städtischen Strukturen und Institutionen, eine Struktur der Vernetzung und Zusammenführung von Wissen und Informationen und die Einrichtung einer zentralen Medienstelle zur Bewerbung von Veranstaltungen und Erhöhung der öffentlichen Präsenz genannt.
Wie die UNESCO-Konvention zur „Kulturellen Vielfalt“ festschreibt, gilt es in der heutigen Gesellschaft die Pluralität und damit die Breite des Kulturangebotes zu bewahren. Die Stadt Berlin ist gefordert in Zusammenarbeit mit allen Akteuren Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die eine gleichberechtigte Vielfalt kultureller Ausdrucksformen möglich ist und sich auch in Zukunft weiter entwickeln kann.
Das erfordert neue kommunalpolitische Strategien:
Es benötigt eine Förderpolitik, die eine Vision von Diversität jenseits von Hierarchien (europäisch-außereuropäisch, E- versus U-Musik, sogenannte „Folklore“ und Hochkultur ...) verfolgt, steuert und Folgeförderungen sowie längerfristige Förderungen ermöglicht. Die vorhandenen Förderinstrumente bedürfen diesbezüglich einer Überprüfung, besonders unter dem Aspekt der Kulturvermittlung, der interkulturellen Orientierung und Öffnung von Strukturen und einer notwendigen Flexibilität um auf neue Entwicklungen in der Kulturlandschaft reagieren zu können.
Im Kontext heterogener Stadtgesellschaften müssen darüber hinaus auch Bildungsziele neu definiert werden und in der gesamten Bildungskette implementiert werden, um eine Basis für ein multikulturelles Zusammenlaben zu bilden. Dafür müssen Konzepte entwickelt werden.
Weiterhin müssen Strukturen geschaffen werden, die den gleichberechtigten Zugang aller gesellschaftlichen Gruppen zu einem reichen und vielfältigem Spektrum kultureller Ausdrucksformen ermöglicht.