Pressemitteilung von Kein Wir Ohne Uns: Migrant_innenselbstorganisationen kritisieren die Berliner Förderpolitik der Integrationsbeauftragten

Ich unterstütze diese Aktion der Berliner Migrantenselbstorganisationen.

In Ihrer Presseerklärung vom 21.1.2014 gibt die Beauftragte des Senats für Integration Frau Dr. Lüke bekannt, dass in den Jahren 2014 und 2015 im Rahmen des neuen Partizipations- und Integrationsprogramms 3 Mio. Euro zur „Stärkung von MigrantInnenorganisationen“ zur Verfügung gestellt werden. Laut Presseerklärung werden 32 Projekte von Migrant_innenselbstorganisationen (MSO) gefördert.

Die Plattform „Kein Wir ohne uns“ hat diese Nachricht unter die Lupe genommen und kommt dabei zu anderen Ergebnissen. Zunächst bleiben Fragen nach der Transparenz und den Kriterien für die Auswahl der in den kommenden Jahren geförderten Projekte: Welche erhobenen Bedarfslagen unter den Berliner_innen mit Migrationsgeschichte haben zur Auswahl der Projekte geführt?! Gab es eine Auswahljury? Wenn ja, wie war sie zusammengesetzt und über welche Expertisen verfügten die Mitglieder der Auswahljury?
Zuwendungsvoraussetzung war, neben einem wichtigen integrationspolitischen Anliegen, die Zuordnung zu einem der folgenden drei Handlungsfelder:
Handlungsfeld 1
Gesellschaftliche Teilhabe und Empowerment von Menschen mit Migrationshintergrund und ihren Organisationen (Selbstvertretung, Organisationfähigkeit, Hilfe zur Selbsthilfe).
Handlungsfeld 2
Weiterentwicklung von herkunftsübergreifenden Kooperationen und Angeboten.
Handlungsfeld 3
Strukturelle Verbesserung bestehender oder neuer Netzwerke und mehr politische Partizipation der Menschen mit Migrationshintergrund im Gemeinwesen.

In der am 21.01.2014 veröffentlichten Liste ist jedoch weder erkennbar, welche der Projekte welchen der drei neuen Handlungsfelder zugeordnet ist, noch wird deutlich, in welchen Projekten sich mehrere MSO zu Kooperationsprojekten zusammen gefunden haben, ganz zu schweigen von Angaben über die Fördersumme. Warum dieses Versteckspiel?!

Verglichen mit der bisherigen Integrationsförderung ist die Zahl der Projekte ungefähr gleich geblieben. Bei den Trägervereinen wurde jedoch ca. ein Drittel ausgetauscht, d.h. zwölf Vereine werden nicht weiter gefördert und elf Vereine sind neu aufgenommen worden. Auffällig ist dabei, dass drei der zwölf ausgeschiedenen Träger in die Strukturförderung überführt worden sind. Diese drei Träger, Arbeit & Bildung/ Kumulus, BQN und die Werkstatt der Kulturen, sind im Widerspruch zur integrationspolitischen Zielsetzung „Stärkung von Migrantenselbstorganisationen“ keine MSO. Diese bleiben in Berlin auch weiterhin von einer strukturellen Förderung ausgeschlossen!

Unter den zwölf ausgeschiedenen Trägervereinen befindet sich auch der Afrika-Rat e.V., eine in Berlin einmalige und wichtige herkunftsübergreifende Dachorganisationen oder die afrikanische-deutsche Selbstorganisation Joliba e.V., die ebenfalls mit afrikanischen Migrant_innen arbeiten. Überhaupt wird als einzige afrikanische MSO das Oromo-Centrum Horn von Afrika e.V. gefördert. Auch MSO der arabischen Community Berlins sind aus der Förderung herausgefallen (wie der Irakische Kulturverein Al Rafedain und Al Dar e.V.). Gefördert wird zwar das bei einem Nachbarschaftshaus angesiedelte erfolgreich arbeitende arabische Frauenprojekt „Al Nadi“ – für die Förderung arabischer MSO gilt jedoch: Fehlanzeige.
Was hat die verantwortlichen Entscheidungsträger_innen bewogen, für MSO aus diesen beiden wichtigen Communities keine Förderung bereitzustellen? Was hat die Integrationsbeaugftragte bewogen, statt einer afrikanischen MSO das Projekt „Begegnungs-, Beratungs- und Nähcafé für afrikanische Frauen“ des gut strukturell gesicherten Trägers der Jugend- und Familienhilfe Lebenswelt gGmbh zu fördern?
Mit Blick auf das dritte Handlungsfeld des neuen Programms wäre u.E. eine Förderung des Afrikarats als der Dachorganisation afrikanischer MSO in Berlin ein „politisches Muss“ gewesen.
Die für die polnischen Vereine bewilligten Mittel entsprechen keineswegs dem Bedarf der immerhin zweitgrößten Zuwander_innegruppe in Berlin mit 45 000 Menschen. Insbesondere die Neuzuwander_innen – größtenteils aus der EU (darunter über 30% aus Polen) - benötigen dringend verschiedene Formen der Beratung und Aufklärung. Auch dieser Bedarf spiegelt sich nicht in der Vergabe den bewilligen Mittel wieder.

Entgegen der Verlautbarung, die Mittel kommen MSO zugute, erhalten wiederum Nicht-MSO einen Teil der Fördergelder, darunter 2 Nachbarschaftsheime sowie die oben erwähnte Lebenswelt gGmbH.
In der Förderung werden zudem Vereine berücksichtigt, die in Berlin integrationspolitisch überhaupt nicht aktiv sind, wie „agit polska“, ein Verein, der bislang ausschließlich den deutsch-polnischen Kulturaustausch und deutsch-polnische Kunst-, Theater- und Musikprojekte umgesetzt hat. Berliner Sitz des überwiegend in Bremen und Hamburg tätigen Vereins von Künstler_innenn und Kulturschaffenden ist eine Privatadresse in Berlin Friedrichshain. Anderen Trägern der Partizipations- und Integrationsarbeit in Berlin ist der Verein „agit polska“ ebenso wenig bekannt wie die „Türkische Umweltinitiative in Deutschland e.V.“ mit Sitz in Braunschweig. Uns genügt, die Webpräsenz der TUD zu studieren, um erhebliche Zweifel an der integrationspolitischen Relevanz für Berlin zu bekommen, so ehrenwert die Absicht der dort versammelten türkischen und deutschen Wissenschaftler_innen auch ist, sich vor allem in der Forschung für die Verbesserung der Umwelt in Deutschland und der Türkei einzusetzen.
Worin besteht die Relevanz und Seriosität der Auswahl solcher Projekte für eine Förderung, die darauf zielt, Berliner_innen mit Migrationshintergund Migrationsgeschichte und deren Selbstorganisationen zu empowern?

Wir fordern auch weiterhin für die Berliner Partizipations- und Integrationspolitik:
1. Eine Erhöhung des Finanzvolumens entsprechend der zuvor zu erhebenden Bedarfslagen.
2. Die strukturelle Förderung von MSO.
3. Eine verwaltungsübergreifende Finanzierung befristeter Projektarbeit .
4. Die Einrichtung eines transparenten Vergabeverfahrens unter Einschluss unabhängiger, fachpolitischer Expert_innen.

>>PM zum download

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