Was hat die Kreativwirtschaft mit Neukölln zu tun? Sehr viel! Nicht nur für die lokale Wirtschaft spielt sie zunehmend eine wichtige Rolle, sondern auch für die urbane Entwicklung und das soziale Zusammenleben in unserem Bezirk.
Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem schillernden Begriff? Meine Kollegin Anja Kofbinger und ich wollten es genauer wissen und initiierten am 05. Oktober 2015 unter dem Motto „Bunt, kleinteilig und international“ ein Kiezgespräch zur Kreativwirtschaft in Neukölln. Gemeinsam sprachen wir mit Neuköllner Akteur*innen und der Verwaltung über die Arbeitsrealitäten und Bedarfe der Kreativschaffenden und den Standort Neukölln.
Der aktuellen Studie „Was geht in Neukölln? Eine Bestandsaufnahme der Kreativwirtschaft 2014“ zu folge macht gerade die große Diversität Neuköllns, eine vielfältige Kunst- und Kulturlandschaft und bereits ansässige Unternehmen der Kreativwirtschaft Neukölln als Standort für Kreative attraktiv. Der Großteil der in Neukölln ansässigen Kreativunternehmen seien Einzelunternehmen ohne Angestellte und in den Bereichen Design, Software/ Games/ IT, Kunst und Film tätig. Die Hälfte der Kreativschaffenden könne von ihrer Arbeit leben, dennoch würden sich die Umsätze vieler in niedrigeren Einkommensniveaus bewegen. Die ständige Suche nach neuen Projekten und Aufträgen, die Vermarktung der eigenen Produkte und steigende Mietkosten für Wohn- und Arbeitsraum würden zu den größten Hemmnissen in der alltäglichen Arbeit zählen.
Tobias Losekandt vom Kreativnetz Neukölln e. V. (knnk) stellte die Arbeit des Vereins vor. Das knnk versteht sich als branchenübergreifender Dachverband der Kreativbranche in Neukölln. Neben Workkshop- und Beratungsangeboten und sei die Vernetzung der Kreativschaffenden in Neukölln zentral. Darüber hinaus vertritt das knnk die Interessen der Kreativschaffenden gegenüber Wirtschaft, Verwaltung und Politik in Neukölln. Tobias Losekandt wies darauf hin, dass die gelebten Arbeitsrealitäten der Kreativschaffenden viel zu selten in den Blick genommen werden. Die Kreativbranche sei sehr kleinteilig und Kreativschaffende hätten häufig mit Ressourcenknappheit zu kämpfen. Auch die ständig steigenden Mieten werden mehr und mehr zu einem Unsicherheitsfaktor.
Mareike Ulmann, Modedesignerin und Inhaberin des Labels“format“ begründete ihre Entscheidung für Neukölln als Standort mit der Nähe zu ihrem Wohnort und der damals günstigen Miete des Ladenlokals in der Weserstraße. Sie erlebe die Entwicklung in Neukölln hautnah mit und profitiere von der Vernetzung der Kreativbranche im Bezirk und von der Unterstützung der Wirtschaftsförderung.
Clemens Mücke von der Neuköllner Wirtschaftsförderung schilderte die Bemühungen des Bezirkes in der Unterstützung und Förderung der Kreativwirtschaft. Die Kreativwirtschaft gehöre inzwischen zu den wichtigsten Akteureuren der lokalen Ökonomie. In der Zeit von 2005 bis heute wurden in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Neuköllner Quartiersmanagements Projekte zur Ansiedlung von Kultur- und Kreativwirtschaft aufgelegt. Gemeinsam mit der Neuköllner Kreativbranche wurden zwei Kreativkongresse durchgeführt und lokale professionelle Modeveranstaltungen organisiert. Seit dem 01. September diesen Jahres läuft das Projekt “Neukölln²”, für das das Neuköllner Bezirksamt Fördermittel in Höhe von fast 2 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier (BIWAQ) akquirieren konnte. Das dreijährige laufende Programm hat eine nachhaltige Stadtentwicklung mit Förderung der lokalen Ökonomie zum Ziel und richtet sich an Unternehmen der Kreativ-, Mode und Kulturwirtschaft sowie Einzelhandelsunternehmen an der Sonnenallee, außerdem an Eigentümer*innen und Projektentwickler*innen von Schlüsselimmobilien in der Karl-Marx-Straße, wozu u. a. die Alte Post und das ehemalige C&A-Gebäude gehören.
Notker Schweikhardt, Sprecher für Kreativwirtschaft in der Abgeordnetenhausfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wies darauf hin, dass immer noch die meisten Gelder in die Wirtschaft gepumpt werden würden und der kreative Aspekt des Arbeitens bisher zu wenig Unterstützung erfahre. Daher empfahl er Neuköllner Kreativschaffenden sich gezielt Partner*innen zu suchen, die sich mit Förderungen auskennen würden. Berlin würde z. B. Einnahmen, die aus der City Tax kommen, u.a. in Arbeits- und Recherchestipendien für Kreativschaffende fließen lassen. Diese Möglichkeit sei in der Kreativbranche bisher jedoch wenig bekannt.
In der nachfolgenden Diskussion ging es noch einmal konkret um Fragen der Arbeitsrealitäten und Unterstützungsbedarfe der Kreativbranche in Neukölln und um die Bedeutung der Kreativwirtschaft für die Entwicklung des Bezirkes. Sie schafft nicht nur lokale Arbeitsplätze. Viele Kreativschaffende engagieren sich beispielsweise auf unterschiedlichste Art und Weise für ihr Lebens- und Arbeitsumfeld und gestalten ihren Bezirk aktiv mit. Sie wirken in Nachbarschaftsinitiativen mit, initiieren Bildungsprojekte, schaffen Freiräume im öffentlichen Raum und tragen so auch zu einer Verbesserung der Kieze bei. Die Art des Arbeitens vieler Kreativschaffender basiert häufig auf freundschaftlichen Netzwerken, die auch solidarische Strukturen aufweisen. Nicht nur aufgrund der eigenen Ressourcenknappheit entscheiden sich Kreativschaffende für gemeinsam genutzte Arbeitsorte, wie Büroräume, Werkstätten und Ateliers. Vielmehr geht es hier auch um Fragen nach Arbeitsbedingungen, einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen und das Ausprobieren alternativer Formen des Wirtschaftens und Arbeitens.
Besonders darauf hingewiesen wurde, dass bereits existierende Strukturen der Selbstorganisation unterstützt und gestärkt werden sollten. Die Kreativbranche brauche eine regelgeförderte zentrale Anlaufstelle, wo Informationen gebündelt werden und Beratungen und Vernetzungen stattfinden können.
Wir Grüne sehen in der Kreativwirtschaft eine große Chance für Neukölln. Die Aufgabe der Politik ist es Rahmenbedingungen zu schaffen, durch die Unternehmen der Kreativwirtschaft gefördert und gestärkt werden. Steigende Wohnraum- und Gewerbemieten und unklare Förderstrukturen sowie ein Mangel an öffentlichen Mitteln für diesen Sektor sind nur zwei der Barrieren denen sich viele Unternehmer*innen aus diesen Bereich gegenübersehen.
Ich bedanke mich bei allen Podiumsteilnehmer*innen und dem Publikum für die gute Diskussion. Wir werden an dem Thema dranbleiben.
Im Facetten-Magazin Neukölln ist ein Artikel zu unserer Veranstaltung erschienen. Lesen Sie hier.
Die Neuköllner Ausgabe der Kiez und Kneipe hat ebenfalls einen Artikel veröffentlicht. Lesen Sie hier.