Veranstaltungsbericht: 6. Kiezgespräch: Neukölln für Alle

Am 18.8.2013 fand unser 6. Kiezgespräch zum Thema „Neukölln für alle“ in der Villa Rixdorf statt. Eine kleine Runde interessierter Bürger_innen war gekommen, um über die Abschaffung des Optionszwangs, die Erleichterung von Einbürgerung und die Erweiterung des Wahlrechts zu diskutieren. Anja Kofbinger, Grüne Direktkandidatin in Neukölln für die Bundestagswahl 2013, hatte Paula Riester, Fraktionssprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Bezirksparlament Friedrichshain-Kreuzberg und ebenfalls Bundestagskandidatin, sowie Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Partizipationspolitik von Bündnis 90/Die Grünen, aufs Podium geladen.

Susanna Kahlefeld betonte die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels; weg vom Integrationsbegriff, hin zu echter Partizipation. Zuwanderer_innen sollen sich nicht anpassen müssen, sondern teilhaben an der deutschen Gesellschaft, dessen Teil sie sind. Bei ihrer Arbeit im Abgeordnetenhaus beschäftigt Susanna sich viel mit dem Anerkennungsgesetz des Bundes. Mit diesem Gesetz werden die Verfahren zur Bewertung ausländischer Berufsqualifikationen im Zuständigkeitsbereich des Bundes vereinfacht, vereinheitlicht und für bisher nicht anspruchsberechtigte Zielgruppen geöffnet. Denn ausländische Abschlüsse werden in Deutschland trotz Fachkräftemangel noch immer nicht anerkannt, anders als beispielsweise in den Vereinigten Staaten oder Großbritannien. Viele hochqualifizierte Zugewanderte können deswegen nicht in ihrem erlernten Beruf arbeiten. Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung von Migrant_innen-Selbstorganisationen, die unter anderem muttersprachliche Betreuung anbieten. Die Mitarbeiter_innen arbeiten meist ehrenamtlich, den Organisationen fehlen notwendige Ressourcen für ihre wichtige Arbeit.

Paula Riester berichtete, wie sie bei ihrer Arbeit als Juristin Menschen beim Asylverfahren und Aufenthaltsrecht unterstützte und dabei oft an rechtliche Grenzen stieße. Deswegen möchte sie diese Themen jetzt im Bundestag einbringen. Ein besonders wichtiges Thema ist für sie auch die doppelte Staatsbürger_innenschaft. Denn hier wird in Deutschland mit zweierlei Maß gemessen. Mit der Einführung des Rechtes auf Mehrstaatlichkeit für EU-Bürger_innen im August 2007 und der Schaffung von Ausnahmeregelungen für einige Nicht-EU-Länder gerät Mehrstaatlichkeit inzwischen zunehmend zur Regel. Dies gilt jedoch nicht für die über 20.000 in Neukölln lebenden Menschen mit türkischem Pass. Über tausend Jugendliche im Bezirk werden vom Optionszwang betroffen sein. Kinder, die in Deutschland geboren werden und mindestens ein nicht-deutsches Elternteil haben, erhalten zunächst beide Pässe und müssen sich bis zu ihrem 23. Geburtstag entscheiden, welche Staatsangehörigkeit sie behalten möchten. Versäumen sie diese Frist, wird ihnen automatisch die deutsche Staatsbürger_innenschaft aberkannt – sie werden zu Ausländer_innen im eigenen Land.

Wir Grünen fordern daher generell die Akzeptanz von Mehrstaatlichkeit und ein Recht auf echte Partizipation. Es gibt keine Gründe, warum Menschen nicht mehrere Pässe haben sollten. Darüber hinaus ist vielen Menschen noch immer die demokratische Teilhabe bei Wahlen verwehrt, nur weil sie keinen deutschen Pass haben. Wir Grünen setzen uns schon lange für ein kommunales Wahlrecht für alle ein. Denn wo Menschen wohnen, muss mitbestimmt werden dürfen, unabhängig vom Pass. Außerdem setzen wir uns für die Abschaffung des Asylbewerber_innenleistungsgesetzes ein, es darf hier keine Differenzierung zum ALGII geben. Auch die Residenzpflicht, Arbeitsverbote und Abschiebehaft wollen wir abschaffen.

Doch die Handlungsspielräume für Grüne Politiker_innen sind aus der Opposition heraus sehr begrenzt, auch weil es bei anderen Parteien kaum Verbündete für dieses Thema gibt. Es zeigen sich zwar erste Schritte eines Umdenkens, doch noch immer herrschen bei vielen Politiker_innen überholte Vorstellungen von Staatsbürger_innenschaft. Die Top-Down-Strukturen der Verwaltungen bieten zwar gewisse Ermessensspielräume, die entsprechenden Posten müssten jedoch vermehrt von Grünen besetzt werden um tatsächlich etwas bewegen zu können.

Bericht: Julia Maria Sonnenburg





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