Rede im Berliner Abgeordnetenhaus, 10.05.2012
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
die Piraten haben – mutig wie Piraten sind – einen Antrag eingebracht, mit dem sie ihrem Wunsch nach der Trennung von Kirche und Staat Ausdruck gegeben.
Aber mehr als Ausdruck dieses Wunsches ist er nicht. Seine Umsetzung würde uns der Trennung kein Stück näher bringen. Aber er ist leicht zu kommunizieren – so, wie es leicht war, zugunsten der Freien Szene einfach die Schließung der Staatoper zu fordern.
Der Antrag beinhaltet einzig die Forderung, dass die Kirchen eigene Finanzverwaltungen aufbauen sollen, um die Kirchensteuern einzuziehen. Diese Aufgabe, die bisher die Finanzämter für die Kirchen erledigen, und für die die Kirchen auch bezahlen, sollen sie in eigener Regie erfüllen. Aber die Kirchensteuer ist kein Vereinsbeitrag und die Erhebung von Steuern ist Teil hoheitlicher Tätigkeit. Diese gehört nicht in die Hand von Verwaltungsleuten der Kirchen – man denke nur an die Wahrung des Steuergeheimnisses. So kann die Trennung nicht gemeint sein.
Bündnis 90/Die Grünen wollen eine wirkliche Trennung von Amts-Kirche und Staat und darüber hinaus den Abbau ihrer geschichtlich gewachsenen Privilegien. Eine Maßnahme nach dem Motto: “Wir mögen euch nicht, können euch leider nichts, also ärgern wir euch” - ist der falsche Einstieg.
Lassen wir erst mal die Diskussion der Rechtslage beiseite. Das Land kann den Kirchenvertrag ohnehin nicht einseitig ändern, ohne ihn mit den Vertragspartnern nach zu verhandeln. Das ist wie bei einem Mietvertrag.
Nach unserem grünen Verständnis einer transparenten und partizipativen Politik müssen an dem Prozess der Trennung die Amts-Kirchen, kritische Kirchenmitglieder und kirchenkritische Christinnen beteiligt werden. Wir haben als Grüne bei den Christen seit jeher Verbündete, wenn es um Flüchtlingspolitik geht, um soziale Fragen, Ökologie und weltweit in den Befreiungsbewegungen, die wir solidarisch unterstützen. Nicht zuletzt: Wir heißen Bündnis 90/Die Grünen. Viele Bürgerrechtler und Bürgerrechtlerinnen kamen aus den Kirchen oder haben in ihnen Unterstützung gefunden. Die Trennung von Amts-Kirche und Staat ist Grüne Beschlusslage, aber die Umsetzung entwickeln wir natürlich mit allen, die davon betroffen sind.
Es gibt in anderen Ländern Modelle der Kooperation von Glaubensgemeinschaften, die für Deutschland vorbildhaft sein können. So wird in Italien eine Steuer erhoben, die an Kirchen, Weltanschauungsgemeinschaften, aber auch an soziale Einrichtungen gehen kann, je nach dem, was der Bürger oder die Bürgerin möchte. In Schweden haben die Kirchen von sich aus die alten Verträge gekündigt. Und ein brasilianischer Katholik z.B. steht erstaunt vor unserem seltsamen Konstrukt einer Kirchenzugehörigkeit, die mit dem Finanzamt zu tun hat.
Auch in Deutschland gibt es mittlerweile gute neue Kooperations-Formen zwischen Landesregierungen und Glaubensgemeinschaften: In NRW und Niedersachsen haben sich gerade die Moschee-Gemeinden und die Kultusministerien – in Niedersachsen übrigens CDU-geführt - auf Strukturen geeinigt, mit denen beide Seiten jetzt sehr zufrieden sind. Dort ging es um die Organisation des islamischen Religionsunterrichts. Diese Frage stellt sich in Berlin nicht, aber man sollte sich die beiden Modelle auf ihre Übertragbarkeit hin ansehen, wenn wir eine Neugestaltung ernsthaft angehen wollen.
In einem offenen und vielfältigen Land muss für alle Weltanschauungen und Glaubensgemeinschaften, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, Platz sein. Das geht nicht ohne neue Vereinbarungen – für alle!
Denn mindestens so ärgerlich wie das Recht auf eine Kirchensteuer finde ich, dass es die Amts-Kirchen waren, die jahrelang in Deutschland die Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinen blockiert haben, dass die Arbeitnehmerinnen in kirchlichen Einrichtungen immer noch weniger Rechte haben und dass man z.B. in Katholischen Institutionen als Geschiedene_r nach einer Wiederverheiratung den Job verliert. Vom Umgang mit Lesben, Schwulen und Transmenschen fange ich jetzt gar nicht erst an. Auch solche Probleme müssen, im Kontext von Gleichstellung und Öffnung sowie des Abbaus von Diskriminierung mitverhandelt werden.