Schriftliche Anfrage: Trägerwechsel bei der Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter: Mittelvergabe nach „Gutsherrenart“?

Dem Verein südost Europa e.V. wurde ab Januar 2015 ihre Trägerfunktion der Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter entzogen. Anstattdessen wurde übergangsweise der Verein Phinove e.V.  damit beauftragt die Anlaufstelle in einigen Bezirken fortzuführen, ein Verein, der erst seit kurzem existiert und über den kaum Informationen bekannt sind. Dieses Vorgehen hinterfrage ich in dieser Anfrage:

 

Schriftliche Anfrage: Trägerwechsel bei der Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter: Mittelvergabe nach „Gutsherrenart“?

 

Das Druckdokument zur schriftlichen Anfrage "Trägerwechsel bei der Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter: Mittelvergabe nach "Gutsherrenart"?" (S17/15719) finden Sie hier.

 

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

1. Wann wurde die Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiter dem bisherigen Träger südost Europa Kultur e.V. weggenommen?

 

2. Warum wurden die Anlaufstelle südost Europa Kultur e.V. entzogen?

 

Zu 1. und 2.: Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen vergibt im Rahmen des Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma (Aktionsplan) an Träger Zuwendungen jeweils für den Ablauf eines Jahres.

Die Anlaufstelle ist am 8. Oktober 2014 von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen – Abteilung III: Integration – für folgende Aufgaben ausgeschrieben worden:

1. Erstberatung zu allgemeinen Fragen des Aufenthalts

2. Vermittlungsberatung zu den Angeboten der Regeldienste einschl. Integrationskurse

3. Sensibilisierung und Aufklärung der lokalen Öffentlichkeit für die Probleme der ankommenden Romafamilien

Der Schwerpunkt der Anlaufstelle liegt in ihrer Mobilität. Eine Beratung am Standort des Trägers ist möglich, steht aber nicht im Vordergrund der Arbeit der Anlaufstelle. Die Anlaufstelle ist mobil in der Stadt unterwegs und kann arbeitstäglich von den Familien direkt angesprochen werden.

Die Anlaufstelle ist ein Instrument, um den ankommenden Familien, aber auch den Romafamilien, die sich trotz langem Aufenthalt noch nicht in Berlin integriert haben, eine Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Die Anlaufstelle bündelt Fachkompetenz und Praxiserfahrung zu den Themen, die Neuzuwandererinnen und Neuzuwanderer aus Rumänien, Bulgarien und Polen betreffen und kann von Fachdiensten als Informationspunkt genutzt werden.

Die Anlaufstelle stellt weder einen Ersatz oder noch eine Alternative zu den gesetzlich geregelten Zuständigkeiten der bezirklichen Verwaltung dar und übernimmt auch keine Funktionen der Regeldienste des Sozialbereichs oder des Jugendhilfeamtes. Auch bleibt die Klärung von Fragen zur Unterkunft, bzw. die Organisation von Unterbringungsmöglichkeiten weiterhin in der Verantwortung der Bezirke.

Es wurde ein Interessenbekundungsverfahren durchgeführt. Auch südost Europa Kultur e.V. hat eine Bewerbung eingereicht. Den Organisationen wurde die Gelegenheit gegeben, ihre Projekte vorzustellen. Die Präsentation von Amaro Foro und dem Caritasverband entsprachen am meisten den angeforderten Aufgaben. Sie wurden dementsprechend mit der Aufgabe der Wahrnehmung der mobilen Anlaufstelle für Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und Roma betraut.

Die mobile Anlaufstelle für europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter sowie Roma wurde dem Verein südost Europa Kultur e.V. daher weder „weggenommen“ noch „entzogen“, vielmehr überzeugten die eingereichten Konzepte von Amaro Foro und dem Caritasverband.

 

3. Um welche Fördersumme handelt es sich?

Zu 3.: Der Verein südost Europa Kultur e.V. erhielt im Jahr 2014 für seine Aufgaben im Rahmen der Anlaufstelle eine Zuwendung in Höhe von 75.000 €.

 

4. Warum ist beim Entzug der Anlaufstelle das Resultat der Neuausschreibung nicht abgewartet worden? Warum war dem Senat der Entzug der Anlaufstelle so dringlich, dass sie für die Übergangszeit an Phinové e.V. gegeben wurde?

Zu 4.: Am 3.12. 2014 hat der Senat der ressortübergreifenden und bezirksoffenen Lenkungsgruppe zur Umsetzung der Berliner Strategie zur Einbeziehung von ausländischen Roma (Lenkungsgruppe Roma) das Ergebnis des Interessenbekundungsverfahrens vorgestellt und seine Entscheidung abgestimmt. Für die Bezirke Friedrichshain Kreuzberg, Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf, Mitte, Neukölln und Reinickendorf sind demnach der Caritasverband, für die Bezirke Charlottenburg-Wilmersdorf, Pankow, Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof, Treptow-Köpenick und Schöneberg Amaro Foro zuständig. Unmittelbar danach wurden die drei Angebotssteller des Interessenbekundungsverfahrens über die Entscheidung informiert.

Da der Caritasverband aus zeitlichen Gründen bis Ende Dezember 2014 das erforderliche Stellenbesetzungsverfahren für die Anlaufstelle nicht durchführen konnte, wurde einvernehmlich der 1.2.2015 als Maßnahmebeginn festgelegt.

Da die betroffenen Bezirke auch für Januar 2015 die Fortführung der Angebote der Anlaufstelle eingefordert hatten, wurde übergangsweise der Verein Phinove damit beauftragt. Dieser Verein ist seit dem 1.1.2015 Arbeitgeber der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ehemaligen Teams der Anlaufstelle für diese Bezirke.

 

5. Wie wurde sichergestellt, dass die ratsuchenden Menschen den neuen Träger finden konnten?

 

6. Warum wurde die Verunsicherung der Ratsuchenden in Kauf genommen? Steht der Nachteil für die Klienten der Anlaufstelle in einem Verhältnis zur Wunsch des Senats nach einem Trägerwechsel?

Zu 5. und 6.: Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat alle Bezirke und betroffene nichtstaatliche Organisationen unverzüglich über die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner ab 1.1.2015 informiert.

Da im Januar 2015 die gleichen Beraterinnen und Berater wie 2014 zur Verfügung standen, konnte eine Verunsicherung ausgeschlossen werden.

 

7. Wie lange war die Anlaufstelle bei Phinové e.V. und wie hoch war die Zuwendung für diese Zeit?

Zu 7.: Der Verein Phinove e.V. hat für den Monat Januar 2015 die Aufgaben der Anlaufstelle übernommen und hat dafür 34.000 € (1/12 der mit zusätzlichen Bundesmitteln ausgestatteten Planungssumme für die Anlauf stelle für 2015 für diese Bezirke) erhalten.

 

8. Wer ist Phinové e.V. (Vorstand, Mitgliederzahl, Zugehörigkeit zu Dachverbänden, bisherige Leistungen, Finanzierung des Vereins)?

Zu 8.: Der gemeinnützige Verein Phinove e.V. wurde 2013 von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Arnold-Fortuin-Hauses (Neukölln, Harzer Straße 65) gegründet: www.arnold-fortuin.de

Der Verein will mit seiner Arbeit einen Beitrag zur europäischen Entwicklung der Chancengleichheit beitragen. Im Rahmen der Zuwendungsvergabe wird der Verein vom Senat seit 2014 gefördert. Er hat sich am 26.3.2015 im Ausschuss für Arbeit, Integration, Frauen und berufliche Bildung des Abgeordnetenhauses vorgestellt (siehe S.24):

 

9. Mit wem – außer dem Senat - steht dieser neue Träger in Kooperation? Wie beurteilt der Senat die Bedeutung einer funktionierenden Vernetzung der Träger für die Qualität ihrer Betreuungs- und Unterstützungsleistungen?

Zu 9.: Grundsätzlich werden im Rahmen der Zuwendungsvergabe Kooperationen mit Dritten nicht abgefragt. Die funktionierende Vernetzung der Träger mit den Bezirken, mit Regelinstitutionen, anderen Trägern und mit Dachorganisationen schätzt die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen als besonders wichtig ein.

 

10. In welcher Höhe hat Phinove e.V. 2014 Mittel erhalten und wofür?

Zu 10.: Im Rahmen des Aktionsplans hat der Verein Phinove e.V. 2014 Zuwendungen erhalten für Notunterkünfte für Familien (in Höhe von 80.600 €) und für ein integriertes Wohnprojekt in Reinickendorf (Scharnweberstr.111) in Höhe von 50.000 €. Zudem ist Phinove 2014 und 2015 Kooperationspartner im ESF-landeskofinanzierten Projekt „BildungsWege – Berufliche Orientierung für Junge Roma“ und wird dort für die Durchführung von Sprachkursen in Höhe von 67.487,97 € gefördert (Federführung:südost Europa Kultur e.V.).

 

Boris V e l t e r

Berlin, den 30. März 2015
In Vertretung

Senatsverwaltung für Arbeit,Integration und Frauen
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 1. Apr. 2015)

 

Mein Kommentar zur Anfrage: Von den Halbwahrheiten und Ungenauigkeiten in der Antwort des Senats sollte man sich nicht täuschen lassen. Hier ist wieder willkürlich mit Geld umgegangen worden. Ich möchte nur auf ein paar Punkte hinweisen:

  • Es gibt nirgendwo Informationen über den neuen Träger Phinove e.V., der innerhalb kürzester Zeit in den Genuss großer Summen gekommen ist (siehe Pkt. 10). Der unter Punkt 8 angegebene Link führt nur zum Haus in der Harzer Straße, und dort ist allein die Emailadresse von Herrn Marx angegeben.
  • Phinove e.V. ist am 26.3. im Ausschuss nicht vorgestellt worden, sondern ich musste mehrfach nachfragen - was im Protokoll auch zu sehen ist.
  • Es wird in der Antwort des Senates nicht erklärt, warum es mitten in der Förderperiode eine Neuausschreibung der Anlaufstelle gegeben hat.

Das alles geht auf Kosten der Hilfesuchenden. Und es werden wieder die Selbstorganisationen der Roma übergangen.

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