Schriftliche Anfrage: UNESCO-Übereinkommen zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen – was geschieht in Berlin?

Das Druckdokument zur schriftlichen Anfrage "UNESCO-Übereinkommen zu Schutz und Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen – was geschieht in Berlin?" (S17/16615) finden Sie hier.

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:   

1.  Im März 2007 ist Deutschland dem „UNESCO-Übereinkommen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen“ beigetreten. Damit sind die dort formulierten Regelungen für Bund, Länder und Gemeinden rechtsverbindlich. Welche Programme und Förderinstrumente wurden in Berlin seit 2007 im Sinne des UNESCO-Übereinkommens zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen entwickelt und umgesetzt? Bitte einzeln auflisten.

2. Hat zur Planung und Umsetzung von Programmen und Förderinstrumenten zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen eine Zusammenarbeit mit den verschiedenen Kulturakteuren in Berlin stattgefunden? Welche Akteure waren daran beteiligt? Welche Ergebnisse wurden formuliert?

3. Welche bestehenden Programme und Förderinstrumente für Kunst und Kultur wurden weiterentwickelt bzw. an die neue Rechtslage im Sinne des UNESCO-Übereinkommens angepasst? Welche konkreten Maßnahmen wurden dafür getroffen? Bitte einzeln auflisten.

4. Wie viel Gelder stehen jährlich zur Verfügung?

5. Wer kann sich auf diese Programme und Förderinstrumente bewerben?

6. Existiert eine öffentlich einsehbare Auflistung der geförderten Akteure, Vereine, Organisationen? Wo kann diese Auflistung eingesehen werden?

7. Welche Ressorts sind in Berlin an der Umsetzung des UNESCO-Übereinkommens beteiligt? Bitte auflisten.

8. Welche Rolle spielt die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen im Rahmen der Berliner Kulturpolitik?

9. Welche Bedeutung misst der Senat einer Vielfalt kultureller Ausdrucksformen für die zukünftige Entwicklung Berlins bei?

Zu 1.-9.: Das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen ist in Deutschland nach Ratifikation am 18. März 2007 in Kraft getreten. In diesem Übereinkommen wird „Kultur“ als besondere Materie des Völkerrechts kodifiziert. Der Anwendungsbereich des Übereinkommens bezieht sich auf die Politik und die Maßnahmen, die im Zusammenhang mit dem Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen von den Vertragsstaaten beschlossen werden (Artikel 3).

Das Übereinkommen verankert grundsätzlich das Recht der Vertragsstaaten auf Entwicklung und Umsetzung einer eigenen Kulturpolitik (Art. 5 und 6). Die genannten Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (insbesondere Artikel 6 ff.) sind dabei als Handlungsoptionen beschrieben. Spezifische Umsetzungsvorgaben machen sie nicht.  

Damit wird das souveräne Recht der Vertragsstaaten statuiert, regulatorische und finanzielle Maßnahmen sowie Maßnahmen zur Unterstützung öffentlicher Einrichtungen und Künstlerinnen bzw. Künstler zum Schutz der kulturellen Vielfalt und der kulturellen Ausdrucksformen zu ergreifen. Es wird rechtlich anerkannt, dass kulturelle Güter und Dienstleistungen sowohl kulturellen als auch kommerziellen Wert besitzen (Artikel 2).  

„Kulturelle Vielfalt" bezieht sich dabei auf die manigfaltige Weise, in der die Kulturen von Gruppen und Gesellschaften zum Ausdruck kommen. Diese Ausdrucksormen werden innerhalb von Gruppen und Gesellschaften sowie zwischen ihnen weitergegeben und zeigen sich abei in den vielfältigen Arten des künstlerischen Schaffens, in der Herstellung, der Verbreitung, dem Vertrieb und dem Genuss von kulturellen Ausdrucksformen, unabhängig davon, welche Mittel und Technologien verwendet werden. „Kulturelle Ausdrucksformen“ sind die Ausdrucksformen, die durch die Kreativität von Einzelpersonen, Gruppen und Gesellschaften entstehen und einen kulturellen Inhalt haben (Artikel 4).

Deutschland versteht sich als ein Kulturstaat. Deshalb besteht ein breiter Konsens über das Erfordernis des Schutzes und der Förderung von Kultur mit dem Ziel, möglichst allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen. Dem föderalen Staatsaufbau Deutschlands entsprechend erfolgt rechtlicher Schutz und finanzielle Förderung von Kulturschaffenden und Kultureinrichtungen durch den Bund, die Länder und die Kommunen. Dabei wird das gesamte Spektrum kultureller Ausdrucksformen von ihren Entstehungsprozessen bis hin zu ihrer Rezeption unterstützt.

Für Berlin gilt: Die Gewährleistung kultureller Vielfalt ist konstitutives Prinzip der Berliner Kulturpolitik. Eigene Förderprogramme oder Dialogstrukturen, die dem UNESCO-Übereinkommen in besonderem Maße Rechnung tragen, gibt es in Berlin z.B. mit dem Dialogformat „Be Berlin – be diverse“. Entscheidend aber ist: jedweder öffentlichen Förderung liegt die Idee des Schutzes und der aktiven Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen zugrunde. 

Dass Berlin zu den international bedeutenden Kunst- und Kulturstandorten mit einer sich sehr dynamisch entwickelnden und vielfältigen Kunstszene gehört, liegt nicht zuletzt daran, dass der Senat daran arbeitet, die notwendigen Rahmenbedingungen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Ressortübergreifende Kooperationen sowie der aktive Dialog mit den Kultur-Akteuren aller Sparten sind hierbei wesentliche Gelingensbedingungen.

Zu den besonders erfolgreichen Initiativen der letzten Jahre, die dem Schutz und der Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen dienen, können z.B. die Einrichtung und Konsolidierung des „Berliner Projektfonds Kulturelle Bildung“ als wirksames Instrument zur Förderung der kulturellen Bildung in Berlin und als Motor für die Entwicklung und den Ausbau der kulturellen Bildungslandschaft sowie die bereits oben erwähnte, im Jahr 2009 ins Leben gerufene Veranstaltungsreihe „Be Berlin – be diverse“ gezählt werden. „Be Berlin – be diverse“ ist ein Format, mit dem die Senatskanzlei - Kulturelle Angelegenheiten in Verbindung mit der gemeinnützigen Hertie-Stiftung Akteure und Institutionen im Kulturbereich dafür sensibilisieren möchte, den kulturellen Reichtum Berlins besser zu erschließen, den die über 900.000 Berlinerinnen und Berliner mit migrantischer und post-migrantischer Herkunft in das Gemeinwesen einbringen.

Für das öffentlich geförderte Kulturangebot gilt, dass jede Kulturveranstaltung grundsätzlich die Begegnung sowie den Informations- und Kompetenzaustausch im Sinne einer interkulturellen Öffnung ermöglicht, wobei die Entwicklung spezifischer Angebotsformate zur Förderung des interkulturellen Austauschs von den programmatisch autonom handelnden Kultureinrichtungen verantwortet wird. Dies geschieht in dem Bewusstsein, dass die Gewährleistung kultureller Vielfalt ein wesentliches Qualitätsmerkmal für die Profilbildung der Kultureinrichtungen ist.

In Berlin haben sich alle großen Kultureinrichtungen auf ein System einheitlicher Besucherbefragung (Projekt KulMon – Kultur-Monitoring in Berliner Kultureinrichtungen) verständigt, die durch die kontinuierliche Erhebung repräsentativer Daten auch Aussagen über Entwicklungstendenzen zulassen. 2011 wurde eine Frage zum Migrationshintergrund der Besucherinnen und Besucher aufgenommen. Bisher ist die Repräsentation von Menschen mit Migrationshintergrund noch unterdurchschnittlich (knapp 10 % in den großen Berliner Kultureinrichtungen).

Allerdings entdecken die Einrichtungen zunehmend Migrantinnen und Migranten als Zielgruppe/-n mit besonderen Bedürfnissen. Ausgehend von der Feststellung, dass Kulturangebote immer auch interkulturelle Begegnung bzw. interkulturellen Austausch dem Grunde nach ermöglichen, findet dieses Prinzip auch in allen Förderprogrammen der Senatskanzlei– Kulturelle Angelegenheiten seinen Niederschlag.

Die Internationalität und Interkulturalität der Berliner Kreativszene spiegeln sich deutlich in der aktuellen Förderstatistik, wonach durchschnittlich 27 % der Antragstellerinnen und Antragsteller, 30 % der Geförderten und 13,4 % der Jurymitglieder einen Migrationshintergrund aufweisen. Daneben gibt es mit dem Programm für „Interkulturelle Projektarbeit“ (Kapitel 0310,Titel 686 09) einen speziellen Förderbereich für in Berlin lebende Künstlerinnen und Künstler mit Migrationshintergrund, die sich über die Bewahrung kultureller Traditionen hinaus mit aktuellen Kunstströmungen auseinandersetzenund neuartige Themen aufgreifen.


Berlin, den 16. Juli 2015

In Vertretung
Tim Renner
Der Regierende Bürgermeister von Berlin
Senatskanzlei – Kulturelle Angelegenheiten

(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juli 2015)
 

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