Fachgespräch: Antiziganismus

Das Fachgespräch über Antiziganismus in Deutschland, das am 03.12.2014 im Berliner Abgeordnetenhaus stattfand, ist Teil einer Fachgesprächsreihe zum Grünen Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes für Berlin.

Bereits seit 2011 liegt ein von Alexander Klose für Berlin entwickelter Entwurf für ein Antidiskriminierungsgesetz vor, der darauf angelegt ist, eine Lücke im deutschen Antidiskriminierungsrecht zu schließen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), das 2006 in Kraft trat, deckt nicht alle Lebensbereiche ab, in denen Diskriminierungen stattfinden (können), wie z. B. die Bereiche Bildung/Wissenschaft, Justiz/Polizei(handeln) und Verwaltung. Alexander Kloses Entwurf würde einen umfangreichen Schutz auch in diesen Bereichen vorsehen und eine verstärkte Sensibilisierung für Diskriminierung schaffen, und zwar für alle Gruppen, die von Diskriminierung betroffen sind.

Im Rahmen des Fachgesprächs „Antiziganismus“ diskutierten Romeo Franz (Hildegard Lagrenne-Stiftung), Markus End (Universität Hildesheim, Antiziganismus-Forschung), Alexander Klose (Fachreferent der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen im Abgeordnetenhaus) und Nihad Nino Pusija (Fotograf und Kulturvermittler).

Romeo Franz hob hervor, dass Antiziganismus essentieller Teil des europäischen Kulturkontext sei und eine der stärksten Formen des Rassismus darstelle. Obwohl im gesellschaftlichen Diskurs und Sprachgebrauch die Beschreibung „Zigeuner“ durch „Sinti und Roma“ ersetzt wurde, sei dennoch der Gehalt der gleiche geblieben. Stereotypisierungen und Diskriminierungen finden weiterhin statt und tangieren alle Lebensbereiche der Betroffenen, benachteiligt bzw. verhindert u. a. Zugang zu Arbeit, Bildung und dem Wohnungsmarkt. Des weiteren würde besonders bei der Diskussion über „Roma“ deutlich, dass wir in zunehmenden Maße eine Ethnisierung des Themas Zuwanderung erleben würden.

Markus End, der kürzlich eine Studie zu „Antiziganismus in der deutschen Öffentlichkeit“ publizierte, wies darauf hin, dass es in Bezug auf den Begriff „Roma“ einen einheitlichen gesellschaftlichen Konsens zu geben scheine. Stereotype Zuschreibungen von „ Primitivität“ und „Kriminalität“, „Schmutz“ und „Nomadentum“ scheinen als kulturelles Wissen so fest in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft verankert zu sein, dass allein die Erwähnung des Begriffs „Roma“ eine Reihe von vorurteilsbehafteten Assoziationen hervorrufe. Deutsche Medien würden dabei zur weiteren Tradierung und Verbreitung dieser Stereotype beitragen.

Nihad Nino Pusija arbeitet explizit mit Bildern. „Das Medium der Fotografie dient bei ihm als Identitätsbearbeitung und als Rückaneignung des Selbstbildes. Er ist Chronist der Roma. Die Bilder zeigen auch einen neu erwachsenden, organisierten Aktivismus der Roma gegen die fortschreitende Beschneidung ihrer Menschenrechte.“ (Zitat, website Galerie Kai Dikhas)

Erfahrungsberichte von verschiedenen anwesenden Personen machten deutlich, dass Diskriminierungen tagtäglich stattfinden. Erschreckend sei dabei, dass Diskriminierungserfahrungen für Angehörige von Minderheiten scheinbar mehr und mehr zur Alltagsrealität gehören und für die Betroffenen so etwas wie einen „Normalitätsstatus“ erreichen (können).

Bisher fehle es an gleichberechtigten Begegnungen. Entscheidungen werden getroffen, Programme aufgelegt ohne mit Akteuren von Selbstorganisationen in Gespräch zu kommen.

Konsens herrschte bei allen Podiumsgästen und Teilnehmer*innen des Fachgesprächs, dass ein Antidiskriminierungsgesetz Rassismus nicht abschaffen kann. Ein Antidiskriminierungsgesetz kann jedoch definieren wo ein Strafbestand anfängt. Außerdem könnte ein solches Gesetz das Land verpflichten auch positive Maßnahmen, wie z. B. Schulungen zur Sensibilisierung durchzuführen. Antiziganismus sollte auch als Thema in die Lehrpläne der Schulen aufgenommen werden.

Ein wichtiges Ziel der Arbeit solle sein, Antiziganismus als Strafbestand anzuerkennen und zu sanktionieren, ähnlich wie bei Antisemitismus.

Moderiert wurde das Fachgespräch von Susanna Kahlefeld, MdA.

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