Kleine Anfrage: Roma-Familien auf die Straße geräumt – wo war der Senat?

Das Druckdokument zur Kleinen Anfrage: Roma-Familien auf die Straße geräumt – wo war der Senat? (ka17 / 10 810) finden Sie hier.

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Kleine Anfrage wie folgt:

1. War der Senat über die bevorstehende Räumung des von Roma-Familien bewohnten Hauses in der Turmstraße 64 informiert? Wenn ja, seit wann?
Zu 1.: Ja, der Bezirk Mitte hat die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen am 15. Mai 2012 darüber informiert.

2. War der Senat in die Vermittlungsversuche mit der Hausbesitzerin einbezogen? Wenn ja, in welcher Form?
Zu 2.: Dem Senat sind Vermittlungsversuche zwi-schen der Eigentümerin bzw. der Verwaltung des Hauses Turmstr. 64 und dem Hauptmieter Humanitas e.V.
nicht bekannt.

3. Wie konnte es dazu kommen, dass am 2. Juli 2012 über 100 Menschen verschiedener Generationen, Eltern und Kinder ihre Wohnungen in der Turmstraße 64 verlassen mussten, ohne dass für eine alternative Unterbringung gesorgt war?
Zu 3.: Die Untermieter hatten nach Aussage des Bezirksamtes Mitte zum überwiegenden Teil bestehende Mietverträge, die privat durchgeführte Räumung war demnach nicht rechtmäßig. Der vom Bezirk Mitte beauftragte Verein Kulturen im Kiez und der von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen beauftragte Verein Südost Europa Kultur waren, um einen Konflikt zu vermeiden, seit mehreren Wochen auf der Suche nach Wohnungen für die Familien. Mit Unterstützung der Aachener Siedlungs- und Wohnungsgesellschaft konnten drei Familien mit Wohnraum versorgt werden, zwei weitere Familien kamen durch die Vermittlung von Kulturen im Kiez anderweitig unter. Eine genaue zahlenmäßige Erfassung zum 2. Juli 2012 liegt dem Bezirksamt Mitte nicht vor. Am 6. Juni 2012 waren aus dem Personenkreis 40 Personen in der Turmstr.64 gemeldet.

4. Wer war an der Räumungsaktion vor Ort beteiligt? Inwiefern waren Polizei, Bezirksamt und Senat an der Räumungsaktion beteiligt?

5. Welche Funktion hatte die Sicherheitsfirma, die bei der Räumung anwesend war, und mit wem war ihr Einsatz abgesprochen?

6. Um wie viel Uhr waren die Sicherheitsdienste, die Polizei und das Bezirksamt mit wie vielen Mitarbeiter_innen vor Ort? (Bitte getrennt auflisten.)

Zu 4.-6.: An der durchgeführten Räumung war keine Verwaltung oder nachgeordnete Behörde beteiligt. Ein privater Sicherheitsdienst hat nach Auskunft des Vereins südost den Vertreter des Hauptmieters Humanitas e.V. begleitet. Dieser von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen beauftragte Verein wurde am 2. Juli 2012 durch Roma-Familien telefonisch
von der privaten Räumung in Kenntnis gesetzt und war gegen 10 Uhr vor Ort. Er informierte umgehend die Senatsverwaltung sowie den im Bezirk
zuständigen Präventionsrat, das Jugendamt und den zuständigen Polizeiabschnitt. Der Leiter des bezirklichen Präventionsrates traf gegen 12 Uhr ein und hat die Familien mit Unterstützung des Vereins südost am Leopoldplatz gesprochen. Lediglich zu Auf-klärungszwecken befanden sich um ca. 8.30 Uhr Polizeibeamte in der Nähe des Hauses Turmstr. 64.

7. Wie wurde sichergestellt, dass die im Haus ver-bliebenen persönlichen Gegenstände den Bewohner_in-nen übergeben wurden?
Zu 7.: Hierzu liegen dem Senat keine gesicherten Erkenntnisse vor. Nach Aussage des Bezirksamtes Mitte wurde der Leiter des bezirklichen Präventionsrates am Leopoldplatz darüber informiert, dass Möbel der Be-wohnerinnen und Bewohner im Haus verblieben waren. Er hat daraufhin mit der Hausverwaltung Kontakt aufgenommen. Für den kommenden Tag wurde ein Abhol-termin mit dem Hinweis eingeräumt, dass bei Nichtabholung die verbliebenen Sachen entsorgt würden. Der Termin wurde durch den Leiter des Präventionsrates der Mobilen Anlaufstelle zur Information der betreffenden Bewohnerinnen und Bewohner mitgeteilt. Nach Kenntnis des Bezirksamtes Mitte wurde dieser Termin jedoch nicht in Anspruch genommen.

8. Wie viele der betroffenen Menschen mussten am Leopoldplatz übernachten?
Zu 8.: Nach Aussage des Vereins südost handelte es sich insgesamt um ca. 40 Personen, die im Laufe des Tages am Leopoldplatz eintrafen. Nach Kenntnis des Bezirksamtes Mitte handelte es sich um etwa 15 bis 20 Personen, die auf dem Platz übernachteten.

9. Wie und durch wen wurden die plötzlich obdach-los gewordenen Menschen betreut? Was wird der Senat tun, um zukünftig zu verhindern,
dass Roma-Familien auf die Straße geräumt werden?

10. Was hat der Senat vor, um zukünftig Untervermietungen von Wohnungen und Einzelzimmern zu Wucherpreisen an Roma zu verhindern und Missstände wie die Verweigerung von Mietverträgen und Barzahlungen der Mieten zu verhindern?
Zu 9. und 10.: Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen hat den Verein südost beauftragt, die wohnungslos gewordenen Roma-Familien
zu betreuen und diese Betreuung auch auf die Vermittlung und Anmietung von Wohnungen auszuweiten. Zum Begriff der plötzlichen Obdachlosigkeit merkt das Bezirksamt Mitte an, dass nach Auskunft des Hauptmieters den Roma-Familien seit Anfang des Jahres bekannt gewesen sei, dass ihre Untermietverträge zum 30. Juni 2012 beendet werden sollen. Der Senat wird gemeinsam mit den Bezirken im Rahmen des in der Erarbeitung befindlichen Aktionsplans Roma prüfen, wie die Wohnsituation von neu zu-gewanderten Roma-Familien aus Bulgarien und Rumänien verbessert werden kann.

11. Warum wird das Thema Wohnungssuche und die Problematik der Obdachlosigkeit im Informationsblatt „Roma und europäische Wanderarbeitnehmerinnen ...“ nicht einmal erwähnt?
Zu 11.: Bisher gab es hierzu keinen Informationsbedarf.

12. Wie ist die Zuständigkeit zwischen Bezirksämtern und Senat in der Betreuung von obdachlos gewordenen Roma und zur Vermeidung von Obdachlosigkeit dieser Bevölkerungsgruppe aufgeteilt? (Bitte namentlich mit Funktionen auflisten.)
Zu 12.: Nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) liegt die Vermeidung von Obdachlosigkeit in bezirklicher Zuständigkeit.
Dabei beruht die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen grundsätzlich auf Freiwilligkeit. In diesem Fall war die bezirkliche Fachstelle für
Wohnungsnotfälle eingebunden, die geprüft hat, inwieweit im Einzelfall Leistungen der Obdachlosenhilfe erfolgen könnten. Diese wurden nicht in
Anspruch genommen, da Roma-Familien Ob-dachlosenunterkünfte insbesondere wegen der Geschlech-tertrennung nicht annehmen. Der Senat wird auch in dieser Frage im Rahmen des in der Erarbeitung befindlichen Aktionsplans Roma Maßnahmen erörtern.

13. Welche Absprachen gibt es mit wem zur Lösung dieses jährlich wiederkehrenden Problems?

14. Welche Bedeutung kommt dieser Problematik der ausbeuterischen Vermietung und der daraus resultierenden prekären Wohnsituation von Roma
in der geplanten „Strategie zur Einbeziehung von ausländischen Roma“ zu?

Zu 13. und 14.: Siehe Antwort zu Frage 9.

Berlin, den 19. Oktober 2012
In Vertretung
Farhad Dilmaghani
Senatsverwaltung für Arbeit,
Integration und Frauen
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 24. Okt. 2012)

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