Marginalisierung der/des Integrationsbeauftragten zurücknehmen!

Rede im Berliner Abgeordnetenhaus, 22.03.2012
(Videomitschnitt des RBB)

"Sehr geehrte Frau Senatorin Kolat,
sehr Damen und Herren,

ich habe mich gefreut als ich hörte, dass Sie als Senatorin für Integration
zuständig sein werden. Ich hatte die Erwartung, dass eine Senatorin, die den
TBB, eine der großen Nichtregierungsorganisationen im Bereich
Partizipation/Integration, wirklich gut kennt, aus eigenem praktischen
Anschauen weiß, was diese Stadt integrationspolitisch braucht und woran es
fehlt. Es schien mir ein Vorteil zu sein, dass Sie erprobte Lösungsansätze und
sich wandelnde Anforderungen an Partizipation ebenso kennen wie die
Probleme, Sorgen und Ängste mit denen Menschen mit Migrationsgeschichte
zum TBB und anderen Organisationen kommen.

Aber nun stehen wir in Berlin da ohne Migrationsbeirat und ohne
Integrationsbeauftragten. Nach 100 Tagen Rot-Schwarz haben die
Migrantinnen, Migranten und ihre Organisationen im Senat keine Stimme
mehr. Wie soll Partizipation erreicht werden?

Als die Wahlen des Landesbeirates für ungültig erklärt werden mussten,
dachte ich noch: Den Beauftragten haben nicht Sie eingesetzt, Frau Senatorin,
sondern quasi geerbt. Und es waren auch seine Versäumnisse als Wahlleiter,
nicht Ihre, die dazu geführt haben, dass nun im Mai neu gewählt werden
muss. Wir erwarten, dass sich formale Fehler bei den Wahlen des
Landesbeirates im Mai nicht wiederholen – und wir erwarten, dass der Wille
zu einer ernsthaften Zusammenarbeit mit dem Landesbeirat für Integrations- und Migrationsfragen ein Kriterium bei der Neubesetzung der Stelle der
Beauftragten sein wird.

Dass nun aber der Integrationsbeauftragte gegangen ist, das ist keine
Erbschaft, sondern Ergebnis der neuen rot-schwarzen Integrationspolitik: Er
wollte seine Stelle – völlig zu Recht - nicht zum Abteilungsleiter
herunterstufen lassen. Statt wie bisher direkt der zuständigen Senatorin
untergeordnet zu sein, steht er nun gemeinsam mit dem Abteilungsleiter für
Arbeit und Berufliche Bildung unter dem Staatssekretär. Eine
Abteilungsleiterin, gleichgestellt mit den anderen Abteilungsleiterinnen kann
die Aufgabe einer Beauftragten nicht mehr erfüllen. Mit der neuen Struktur ist
daher die Stelle des oder der gesetzlich vorgeschriebenen
Integrationsbeauftragten in Berlin de facto abgeschafft.

Es ist unstrittig bei allen, die mit der Organisation und Durchführung von
Partizipations- und Integrationsprozessen befasst sind, dass Erfolg und
Effizienz wesentlich davon abhängen, ob sie Chefinnensache sind. Das heißt:
Die oder der Integrationsbeauftragte kann ihre ressortübergreifende
Querschnittsaufgabe nur erfüllen, wenn sie in der Verwaltung möglichst weit
oben angesiedelt ist. Das grün regierte Land Baden Württemberg hat aus
diesem Grund eine eigene Ministerin für Integration. In NRW gibt es eine
eigene Staatssekretärin, die ausschließlich für die Abteilung Integration
zuständig ist. Verwaltung ist ein hierarchisches System. Und „oben“ ist eben
oben und nicht unter einem Staatssekretär.

Wir fordern Sie daher auf, die Herabstufung der Position der
Integrationsbeauftragten rückgängig zu machen.

Wir fordern den Senat im Weiteren auf, sich zu den zukünftigen Aufgaben der
Integrationsbeauftragten klar zu positionieren – gerade auch im Hinblick auf
die Neubesetzung der Stelle. Bleibt es bei der gesetzlich definierten Aufgabe
der Beauftragten: „Integrationshemmnisse und strukturelle Benachteiligung
von Menschen mit Migrationshintergrund“ abzubauen und ihre
„Partizipation“ zu stärken? Oder kommt es zu einem Umsteuern im Sinne des
Koalitionspartners CDU, der den Integrationsbeauftragten zu einem
Beauftragten der Überfremdungsängste machen möchte? Eine analoge
Umdefinition der Berliner Frauenbeauftragten würde diese zu Sprecherinnen
von Männern mit Gynophobie machen ...

Deutschland gilt international als eins der rückständigsten Länder, was die
interkulturelle Öffnung angeht, sei es in der Verwaltung, der Bildung, der
Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Wir sind aus diesem Grund zum
Auswanderungsland geworden. Die Morde der NSU haben erschreckende
Defizite in der interkulturellen Kompetenz von Polizei und Politik
offengelegt: Jeder und jede sollte jetzt verstanden haben, dass unsere
Strukturen überholt sind und die Befangenheit in Stereotypen nicht nur ein
Mangel an soft skills ist, sondern zu einer ernsten Gefährdung der
Öffentlichkeit führen kann.

Wir brauchen endlich Fortschritte in der Partizipationspolitik. Legen Sie uns
einen Fahrplan vor, wie sie in den nächsten fünf Jahren Berlin zu einer
wirklich weltoffenen Stadt machen wollen, wie die Blockaden abgebaut,
Diskriminierung wirksam bekämpft und die Teilhabe messbar verbessert
werden. Wir brauchen nicht nur Papiere wie die Integrationskonzepte 2005
und 2007 und ein Gesetz, sondern auch Taten."

« Zurück