Schriftliche Anfrage und Kommentar: Was macht das „Nostel“ (Notunterkunft für obdachlose Familien)?

Mein Kommentar zur Antwort des Senats:

"Ich frage nach einem zweifelhaften Projekt, bei dem Roma-Familien isoliert werden. Eine Auskunft über ihren Verbleib verweigert der Senat. Wo sind die Menschen geblieben, die im "Nostel" untergebracht waren? Sind sie wieder auf der Straße oder abgeschoben? Warum kooperiert das Nostel nicht - wie in guter Sozialarbeit üblich - mit anderen Trägern, die ihre Spezialkenntnisse haben? Warum werden in den Bezirken nach und nach die bewährten Träger aus der Förderung verdrängt? Vor allem Träger, die Menschen aus Bulgarien, Rumäninen, Roma und Nichtroma gemeinsam in der Verantwortung haben.
Durchgeführt wird das "Nostel" von einem Träger, der im Hintergrund bleibt und über  den der Senat ebenfalls die Auskunft schuldig bleibt. Auf der Website von Phinove e.V. sind weder Satzung, noch Vorstand, Personal oder Konzept zu finden. 350.000 €/2015 für was?"

Schriftliche Anfrage Was macht das „Nostel“ (Notunterkunft für obdachlose Familien)?

Das Druckdokument zur schriftlichen Anfrage "Was macht eigentlich das „Nostel“ (Notunterkunft für obdachlose Familien?" (S17/16321) finden Sie hier.

Im Namen des Senats von Berlin beantworte ich Ihre Schriftliche Anfrage wie folgt:

1. Welche Förderung hat der Verein Phinove e.V. seit der Gründung des sogenannten Nostels für die Arbeit dort erhalten? Welche Summen gingen in Mieten, Personalkosten, Honorare, etc. (Bitte gesondert auflisten)

Zu 1.: Bei den Nostels handelt es sich um eine Maßnahme des Aktionsplans zur Einbeziehung ausländischer Roma vom 16.07.2013 (Drucksache 17/1094). Dort werden im Handlungsfeld „Wohnen und Konflikte im Stadtraum“ die vorübergehenden Unterkünfte für Familien mit Kindern wie folgt beschrieben: „Familien, die ohne Unterkunft und Obdach sind, könnten in dieser Notsituation für einen begrenzten Zeitraum von wenigen Tagen in einer zu schaffenden Einrichtung Unterkunft erhalten, um sie vor Ort über ihre Möglichkeiten und Rechte zu beraten und eine Klärung von Ansprüchen nach dem SGB II beziehungsweise SGB XII herbeizuführen“ (S.13). Eingerichtet wurden die vorübergehenden Unterkünfte dezentral in Innenstadtbezirken.

Der Verein Phinove e.V. erhält folgende Mittel: Für 2014 wurden dem Verein für die Laufzeit des Projekts vom 1. Juli bis 31. Dezember 2014 eine Fördersumme in Höhe von 64.803 € zur Verfügung gestellt. Davon waren Personal- und Honorarkosten in Höhe von 26.168,88 € und Mietkosten in Höhe von 9.289 €. Für 2015 steht dem Verein für die Laufzeit des Projekts vom 1. Januar bis 31. Dezember hierfür 2015 eine Fördersumme von 350.000 € zur Verfügung. Davon sind bislang 194.013,14 € für Personal- und Honorarkosten vorgesehen, für die Miete sind Kosten in Höhe 83.244,00 € geplant.

2. Wie viele Familien wurden seit dem Oktober 2014 untergebracht? Wie viele Einzel-Personen sind das?

Zu 2.: Es wurden von Oktober 2014 bis Mai 2015 12 Familien – insgesamt 53 Personen – untergebracht. In den Monaten Oktober bis November standen drei Nostels, von Dezember bis März sechs und ab April 2015 stehen elf Notunterkünfte für obdachlose Familien zur Verfügung.

3. Nach welchen Kriterien werden Personen im Nostel untergebracht? Wie definiert Phinove e.V. die „positive Prognose“, die Voraussetzung für die Aufnahme ist? Was wäre demgegenüber eine „negative Prognose“, die zur Nicht-Aufnahme führt?

4. Wie bewertet der Senat diese Kriterien?

Zu 3. und 4.: Das Projekt richtet sich grundsätzlich an Familien. Die Auswahl der Familien erfolgt anhand von Einzelfallentscheidungen. Diese werden nach Gesamtbetrachtung der zur Verfügung stehenden Plätze und der Lebenssituation der jeweiligen Familie getroffen. Vorgeschlagen werden die Familien durch die Träger der Mobilen Anlaufstellen für Europäische Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter und Roma sowie vom Verein Phinove e.V. Diese von der Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen vorgeschlagenen Kriterien sind mit den Bezirken und den erwähnten Trägern abgestimmt worden. Der Senat bewertet diese Kriterien als erforderlich und zielgerichtet.

5. Welche Träger kümmern sich um die Personen mit „negativer Prognose“ Wie?

Zu 5.: Negative Prognosen werden nicht erstellt. Die Vermittlung wohnungsloser Familien in die Regeldienste gehört zur Kernaufgabe der o.g. Mobilen Anlaufstellen, für die Amaro Foro und die Caritas zuständig sind.

Die Unterbringung in einem Nostel ist eine freiwillige Leistung des Senats, mit der modellhaft die Unterbringungn von Familien und die gleichzeitige Prüfung von Leistungsansprüchen erprobt werden.

6. Wie lange waren diese Personen untergebracht und was ist über ihren Verbleib bekannt?

Zu 6.: Die reguläre Dauer der Unterbringung in einem Nostel beträgt 28 Tage, diese ist einzelfallbezogen verlängerbar. In der Regel ist eine Weiterbetreuung durch den Verein Phinove e.V. nach Abschluss der Unterbringung nicht erforderlich.

7. Wie viele Personen haben eine Wohnung und/oder Arbeit finden können?

Zu 7.: Ein Ziel des Projektes ist die Integration der untergebrachten Familien in den regulären Arbeits- und Wohnungsmarkt. Die entsprechenden Statistiken liegen, da es sich um eine neue und laufende Maßnahme seit 1. Juli 2014 handelt, noch nicht vor und werden der Senatsverwaltung gemeinsam mit den Sachberichten zum 30. März 2016 übermittelt.

8.Wie viele Personen haben Anspruch auf Sozial-Leistungen?

Zu 8.: Ein weiteres Ziel des Projektes ist die Klärung von Ansprüchen auf Sozialleistungen. Aufgrund der bislang uneinheitlichen Rechtsprechung und des in vielen Fällen länger dauernden Rechtsweges kann diese Frage noch nicht beantwortet werden. Die entsprechenden Statistiken für 2014 und 2015 werden ebenfalls zum 30. März 2016 übermittelt.

9. In welcher Höhe wurden EU-Mittel zu Rückführung ausgegeben? Wofür genau: Beratung? Begleitung? Fahrtgelder? Für wie viele Personen? (Bitte gesondert auflisten)

Zu 9.: Im Rahmen des Aktionsplans werden keine Mittel, auch keine EU-Mittel, für Rückführungen ausgegeben.

Dem Senat ist bekannt, dass einige Bezirke in Einzelfällen Angebote zur freiwilligen Rückkehr machen.

10. Welche Unterstützung erhalten die Personen im Nostel, die über die Unterbringung und die mögliche Rückführung hinausgehen? Gibt es Hilfen bei der Wohnungs-und Arbeitssuche, Anleitung zum Besuch von Deutschkursen und Schule, Elternarbeit, gesundheitliche Betreuung, Hilfen zur Ausbildung etc.?

Zu 10.: Zu den Maßnahmen gehören u.a. die Unterstützung bei der Antragstellung von Kindergeld und der Eröffnung eines Bankkontos, die Beratung bei der Arbeitssuche inklusive der Unterstützung bei der Erstellung von Bewerbungen, Aufklärung zu Rechten und Pflichten eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitsnehmerin bzw. eines Arbeitsgebers oder einer Arbeitsgeberin sowie über den Mindestlohn und die Begleitung aller minderjährigen Kinder zum Kinder- und Jugendgesundheitsdienst.

11. Mit welchen Trägern wird in diesen Fragen kooperiert? Wie ist eine kontinuierliche Weiterbetreuung von Personen möglich, die von anderen Trägern an Phinove e.V. übergeben werden, möglich?

Zu 11.: Während der Dauer der Unterbringung in einem Nostel werden die wohnungslosen Familien durch den Verein Phinove e.V. betreut. Nach der Unterbringung und Betreuung werden die Familien über Hilfen der Regelinstitutionen beraten, dabei werden die Mobilen Anlaufstellen einbezogen.

12. Wie ist diese Kooperation möglich, da die Unterbringungsorte geheim gehalten werden?

13. Warum werden die Wohnungen geheim gehalten? Welche Nachteile werden für die untergebrachten Personen vermutet, wenn ihre Unterbringung öffentlich würde?

Zu 12. und 13.: Die Anschrift des Vereins Phinove e.V. ist öffentlich bekannt: Arnold-Fortuin-Haus, Harzer Straße 65, 12059 Berlin, Telefon: 030 – 20 95 17 09, Email: info@phinove.org

Die Familien stehen während des Zeitraums der Unterbringung in den Nostels unter besonderem Schutz, da der Senat ihnen gegenüber eine Fürsorgeverpflichtung eingeht. Zudem hat sich der Senat verpflichtet, Antiziganismus wie andere Formen des Rassismus zu bekämpfen.

Um rassistische Angriffe zu verhindern, werden daher zum Schutz der Familien und zur Prävention vor solchen Angriffen die Anschriften nicht veröffentlicht.

14. Wie kann Post (Jobcenter, Ämter etc. …) an diese geheimen Orte zugestellt werden? Sind Besuche möglich? Wie?

Zu 14.: Die Zustellung von Schriftstücken erfolgt über o.g. postalische Anschrift des Vereins Phinove e.V. Besuche sind nach Anmeldung bei dem Verein möglich.

15. Wie kann unter diesen Umständen die Bearbeitung der multiplen Problemlagen sowie die Heranführung an die Regeldienste gewährleistet werden? Gehen die Kinder zur Schule?

Zu 15.: Die Bearbeitung und Klärung der Problemlagen der Familien erfolgt während der Dauer der Unterbringung in einem Nostel durch den Verein Phinove e.V., dabei werden zuständige Institutionen der Regeldienste einbezogen (zum Beispiel Gesundheitsvorsorge und Schuldnerberatung). Alle schulpflichtigen Kinder werden eingeschult. Dafür nimmt der Verein Kontakt mit den zuständigen Schulen auf und arbeitet mit diesen zusammen.

16. Warum ist das Nostel nur für obdachlose Roma-Familien konzipiert und nach welchen Kriterien wird diese Identität festgestellt?

17. Wie bewertet der Senat dieses Konzept?

Zu 16. und 17.: Das Projekt richtet sich an wohnungslose Familien mit minderjährigen Kindern. Im Rahmen des Aktionsplans wendet es sich nicht ausschließlich, sondern insbesondere auch an Roma-Familien. Eine Feststellung der ethnischen Zugehörigkeit erfolgt nicht und verbietet sich, da dies ein diskriminierendes und benachteiligendes Vorgehen wäre.

Der Senat hält dieses bislang einzigartige Modellprojekt für einen guten Weg, um die Lage von wohnungslosen Roma-Familien zu verbessern.

Berlin, den 18. Juni 2015
In Vertretung
Barbara Loth
Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen
(Eingang beim Abgeordnetenhaus am 23. Juni 2015)

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