Veranstaltungsbericht: Fachgespräch Diversity in der Arbeitswelt

Im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aus dem Jahr 2006 ist verankert, dass Arbeitgeber*innen alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen haben, um Diskriminierungen in der Arbeitswelt - bei Stellenausschreibungen, während des Bewerbungsprozesses, aber auch bei bestehenden Arbeitsverhältnissen - zu verhindern. Dennoch finden Diskriminierungen in der Arbeitswelt aufgrund ethnischer Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder der sexuellen Identität, weiterhin statt. Andererseits wird die Vielfalt in der Belegschaft von einer zunehmenden Anzahl von Unternehmen inzwischen als Bereicherung erkannt und monokulturelle Strukturen sowie die damit zusammenhängende Personalpolitikals nicht mehr zeitgemäß eingeschätzt. Good-Practice-Beispiele zeigen, dass Gleichstellung und Chancengleichheit sowie eine offene und wertschätzende Kultur der Zusammenarbeit durch Diversity Management gezielt gefördert und umgesetzt werden können. Die Umsetzung ist jedoch kein kurzfristiges Projekt.

Im Rahmen unseres dritten Fachgespräches der Veranstaltungsreihe „Vielfalt konkret – Diversity in Berlin gestalten“ sprachen wir mit unseren Podiumsgästen darüber, wie ein Arbeitsumfeld geschaffen werden kann, das frei von Vorurteilen und Stereotypen ist. Welche Rahmenbedingungen muss die Politik schaffen, um eine gleichberechtigte und chancengleiche Vielfalt in der Arbeitswelt zu ermöglichen?

Ruta Yemane vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) stellte eingangs zentrale Ergebnisse der Studie „Diskriminierung am Ausbildungsmarkt. Ausmaß, Ursachen und Handlungsperspektiven“ vor. Für eine Ungleichbehandlung in der Schule, am Ausbildungs- und am Arbeitsmarkt gäbe es starke Indizien. Die Einmündungsquoten von Schüler*innen mit Migrationshintergrund in Ausbildung und Beruf lägen deutlich hinter denen von Schüler*innen ohne Migrationshintergrund. Anhand des Rückmeldeverhaltens von Unternehmen auf Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz wurde versucht, die These „der ethnischen Diskriminierung“ beim Zugang zu betrieblicher Berufsausbildung statistisch zu erfassen.

Die Ergebnisse der Studie münden in fünf Handlungsempfehlungen: 1. Sensibilisierung: Vorurteilen müsse begegnet und betriebliche Diversitätskompetenzen gestärkt werden. 2. Anonymisierung von Bewerbungen. 3. Professionalisierung und Optimierung der Such- und Auswahlprozesse in Unternehmen. 4. Aktivierung: bessere Beteiligung von Jugendlichen und Erhöhung ihrer Chancen. 5. Agenda Setting: Chancengleichheit auf dem Ausbildungsmarkt müsse stärker zu einem Thema für Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft werden.

Vera Egenberger  begleitet im Rahmen ihrer Arbeit im Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e. V. (BUG) Einzelpersonen bei Klagen im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), wenn damit Interpretationen des Gesetzes erzielt werden können. Bei dieser Arbeit würden Lücken im AGG deutlich sichtbar. Eine Novellierung des AGG sei notwendig, u. a. in Bezug auf die folgenden Punkte: Verlängerung des Zeitraumes, in dem Diskriminierungen geltend gemacht werden müssen, von zwei auf sechs bis zwölf Monate; Festschreibung eines Verbandsklagerechts; Einrichtung einer Stelle, die bei Firmen der öffentlichen Hand und öffentlichen Verwaltungen Sanktionen verhängen kann, wenn der Berichtspflicht nicht nachgekommen wird bzw. keine Maßnahmen zur Förderung und Stärkung von Vielfalt vorgenommen werden; Streichung von Ausnahmeregelungen für Kirchen und deren Verbände, Erhöhung der Entschädigungssummen, denn bisher seien diese durch das AGG so gedeckelt, das sie großen Firmen nicht weh täten.

Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Partizipation und Gleichbehandlung von Migrant*innen wies kritisch darauf hin, dass das Pilotprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ in der Berliner Verwaltung zwar positiv abgeschlossen wurde, die Senatorin habe das Verfahren aber dadurch diskreditiert, dass sie die stark verzögerte Besetzung der Stelle des Integrationsbeauftragten wiederholt öffentlich auf die „Aufwändigkeit“ des Verfahrens einer anonymisierten Bewerbung geschoben habe. Am Ende sei dann eine Besetzung aus dem eigenen Haus erfolgt, wofür ebenfalls die Anonymisierung herhalten musste. So mache man keine Werbung für ein auf Bundesebene erfolgreich getestetes Verfahren.

Mit dem Programm „Berlin braucht dich“ solle Jugendlichen mit Migrationshintergrund der Zugang zu einer Ausbildung im öffentlichen Dienst erleichtert werden. Im „Zweiten Bericht zur Umsetzung des Partizipations- und Integrationsgesetzes des Landes Berlin“ Berichtszeitraum: 01.01.2012 – 31.12.2013, Drs. 17/2389 vorgelegt am 24.06.2015 werde jedoch deutlich, dass nur wenige Landesunternehmen freiwillig über ihre Maßnahmen zur Förderung und Umsetzung von Diversity berichteten. Auch die in der letzten Legislaturperiode mit drei Berliner Jobcentern durchgeführten Modellversuche zur „Interkulturellen Öffnung von Jobcentern“ wurden in der aktuellen Legistaturperiode nicht weitergeführt, obwohl dies von den Jobcentern gewünscht sei. Sie seien jedoch auf die Zuarbeit der Senatsverwaltung angewiesen. Positiv sei jedoch zu berichten, dass das Thema Anerkennung von Abschlüssen inzwischen zentraler auf der Agenda stehen würde.

In der nachfolgenden Diskussion ging es noch einmal um die Frage der politischen Schwerpunktsetzung bei Diversity. Sollte der Fokus bei einer formalen Gleichbehandlung liegen oder bei einer Vielfalt, die Unterschiede anerkennt? Antidiskriminierungsarbeit und Diversity (die Gestaltung von Vielfalt) gehören eng zusammen. Die Errungenschaften der formalen Gleichbehandlung dürfen nicht hintergangen werden, aber es darf auch nicht die Augen davor verschlossen werden, dass es Unterschiede in der Gesellschaft gibt, die mit formaler Gleichbehandlung nicht zu beheben sind. Abschließend wurden konkrete Wünsche an die Politik geäußert. Pilotprojekte sollten fortgeführt und größer ausgebaut werden. Es brauche empirische Grundlagen, um das Thema Antidiskriminierung zentraler auf die politische Agenda zu setzen. Bisher sei es immer noch schwer, Antidiskriminierungspolitik mehrheitfähig zu machen.

Berlin braucht ein Landesantidiskriminierungsgesetz. Am 26.11.2015 bringen wir ein Gesetz in das Berliner Parlament ein.

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