Veranstaltungsbericht: Fachgespräch Roma - Kultur - Europa

Im Fokus der Diskussion auf dem Panel „Roma-Kultur zwischen Klischee und Selbstverständnis“ standen Fragen um Identität, Raum und (Re)Präsentation von Roma-Kultur. Slobodan Savić (Musiker und Aktivist), Nihad Nino Pušija (Fotograf) und Slaviša Marković (Künstler, Theater) berichteten über ihre Arbeit als Künstler in Deutschland, ihrem Selbstverständnis als Roma und ihrem Anliegen Roma-Kultur jenseits von gängigen Sichtweisen - die Roma entweder pauschalisiert mit sozialen Problemen gleichsetzen oder schlicht und einfach als nicht existent betrachten – zu präsentieren.

Orte, wie das Roma Aether Klub Theater in Neukölln gaben diesem Anliegen, Roma-Kultur sichtbar zu machen, lebendig zu gestalten und frei von gängigen Klischees zu präsentieren einen Raum. Das Theater schuf gleichzeitig einen Raum der Begegnung, des Austausches und des Voneinander Lernens. Inzwischen ist das Theater geschlossen, weil es sich nicht allein tragen konnte und öffentlichen Fördergelder für rein kulturelle Projekte und Veranstaltungen sehr rar sind.

Solche Beispiele verdeutlichen, dass kulturelle Arbeit und ihre Bedeutung für das Empowerment von Personen und Gruppen bisher viel zu wenig anerkannt und wertgeschätzt wird.

Moderiert wurde dieses Panel von Susanna Kahlefeld, MdA, Sprecherin für Partizipation und Gleichbehandlung von Migrant*innen.

 

 

Veranstaltungsbericht von Christian Kölling, erschienen auf FACETTEN Neukölln, 08.04.2014.

Zum Fachgespräch “Roma-Kultur-Europa” hatten Bettina Jarasch, Landesvorsitzende der Berliner Grünen, und die direkt gewählte Neuköllner Wahlkreisabgeordnete Dr. Susanna Kahlefeld ins Young Arts Nk in der Donaustraße eingeladen. “Wir sind eine pro-europäische Partei. Alle Themen, die uns wichtig sind, sind eigentlich nicht innerhalb der nationalstaatlichen Grenzen zu lösen. Europa ist eine Riesenchance für uns alle, friedlich und gut zusammenzuleben. Wir wollen nicht auswählen, wer aus Europa zu uns nach Berlin kommen darf und wer nicht.” Mit wenigen Sätzen umriss Bettina Jarasch, wofür ihre Partei im Europa-Wahlkampf eintreten will. Positionen, für die es wahrscheinlich viel Gegenwind geben wird, wie die Anfang des Jahres geführte Debatte über Armutswanderung und Arbeitsnehmerfreizügigkeit er- warten lässt.

Obwohl Sinti seit mehr als 600 Jahren in Deutschland als Minderheit leben und die ersten Roma zur Mitte des 19.Jahrhunderts während der Industrialisierung aus Ungarn und Polen einwanderten, werden beide Bevölkerungsgruppen in der Mehr- heitsgesellschaft oft als Vorzeigebeispiele integrationsunwilliger oder -unfähiger Gruppen wahrgenommen. Für die Grünen-Politikerin Susanna Kahlefeld sind sie dagegen eher “vernachlässigte Europäer”, deren Leben daran erinnert, dass die europäische Wertegemeinschaft auch So- zialstandards sowie die Wahrung der Menschen- und Minderheitenrechten braucht. Deshalb seien politische Initiativen nötig, die in der Zivilgesellschaft und auf unterster kommunaler Ebene beginnen sollten und bis in die obersten Etagen der europäischen Politik reichen müss- ten. Unverzichtbar sei einerseits eine Politik auf gleicher Augenhöhe, andererseits aber auch die Stärkung der politischen Selbstorganisation.

In zwei parallel laufenden Panels diskutierten die Teilnehmer des Fachgespräches deshalb über positive oder negative Klischees, die eine realistische Wahrnehmung der Sinti und Roma verhindern, sowie über politische Einflussnahmemöglichkeiten auf allen Ebenen zu Beginn der Dekade der Roma in Europa.

Barbara Lochbihler, Abgeordnete im Europäischen Parlament, unterstrich wie notwendig es ist, die Bereiche Wohnen, Bildung, Gesundheit und Arbeit immer gleichzeitig im Auge zu behalten, um dem Teufelskreis aus Armut und mangelnder Qualifikation zu entgehen. Der desolaten Situation, die der Deutsche Städtetag zu recht in Städten wie Dortmund, Köln oder Duisburg kritisiere, stünde eine noch viel katastrophalere Situation in manchen Gegenden Rumäniens, Bulgariens und Ungarns gegenüber, wo Roma teilweise sogar ohne Wasser und Strom unter Dritte-Welt- Bedingungen leben müssten. Romeo Franz, Politiker aus Rheinland-Pfalz und bis 2013 Vorstandsmitglied im Zentralrat der deutschen Sinti und Roma, fügte zum Teufelskreis aus Diskriminierung, Armut und Vernachlässigung an: “Man kennt die Ursache. Die Ursache ist der Antiziganismus. Das ist der Defekt der Mehrheitsgesellschaft.” Für Franz und viele andere ist es schwer, den Vorurteilen zu entkommen, obwohl er unmissverständlich sagt: “Ich bin in erster Linie Deutscher. Ich bin ein deutscher Sinto.” Daniel Ibraimovic, Mitarbeiter von AspE e.V. im Wohnprojekt Harzer Straße, musste bestätigen, wie sehr die Furcht vor gesellschaftlicher Ausgrenzung das Denken deutscher Sinti und Roma bestimmt: “Ich kenne eine Menge Leute, die Angst davor haben, sich als Sinti oder Roma zu outen, obwohl sie im Leben er- folgreich sind.”

In Duisburg, wo gerade ein Problem- Haus für bundesweite Aufmerksam- keit sorgte, setzen die veränderungs- willigen Politiker der dortigen rot-rot-grünen Koalition vor allem auf die Ent wicklung und Pflege zivilgesellschaftlicher Kontakte. Matthias Schneider aus der Stadt mit Europas größtem Binnenhafen wies auf die Arbeit des Runder Tisch e. V. im Stadtteil Marxloh hin, der auch in Krisensituationen interveniert. Eines Tages wurden Roma-Jugendliche verdächtigt, nachts alle Bäume eines Obstgartens abgeerntet zu haben. Die beschuldigten “Zigeuner” waren tatsächlich die Diebe. Wie der Runde Tisch Marxloh aber auch erfuhr, hatten sie Hunger, und es gab tatsächlich nichts anderes zu essen für sie. Obstgärtner und Roma einigten sich deshalb, dass im nächsten Sommer ein Teil der Ernte für die Roma übrig blieb, denn die nur für den Eigenbedarf produzierenden Gärtner hatten an sich genügend Obst. Sie ärgerten sich vor allem über den nächtlichen Diebstahl, weniger über die verlorenen Früchte.

Neben ganz praktischen Beispielen waren aber ebenso Handlungs-empfehlungen für die Politik gefragt. Romeo Franz lobte hier ausdrücklich die Politik der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Mit einem Staatsvertrag, der die Anerkennung der baden-württembergischen Sinti und Roma und ihre Förderung als nationale Minderheit garantiert, sei es Ministerpräsident Kretschmann gelungen, das schwierige Verhältnis auf neue Beine zu stellen. Abhängig von der jeweiligen Situation könnte aber auch weitergehende Lösungen wie die verfassungsmäßige Garantie von Minderheitenrechten in Schleswig-Holstein sinnvoll sein. Selbst ganz niedrigschwellige Rahmenvereinbarungen, die Rheinland-Pfalz und Bremen schlossen, könnten nach Ansicht von Franz im konkreten Fall nützlich sein.

Und in Berlin? Aus dem Publikum wurde die allgemeine politische Forderung laut, sich in ganz Europa auf die Einhaltung der Kopenhagen-Kriterien zu besinnen. Sie legen seit dem EU-Gipfel 1993 in Artikel 2 des EU-Vertrages die Achtung der Menschenrechte Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtstaatlichkeit, Minderheitenschutz, Nichtdiskriminierung und Toleranz als europäische Grundwerte fest. Konkret ist das Wohnprojekt Harzer Straße ein vielbeachtetes und gelungenes Beispiel für die soziale Integration. Daniel Ibraimovic von AspE e.V. will eigentlich ein Wohnprojekt und Angebote für alle Menschen, nicht nur für Sinti und Roma: “Wir sind keine eigene Spezies – keine Wesen von einem anderen Planeten, und auch ich habe Vorurteile wie alle anderen Menschen“, fasste er seine Arbeitsauffassung zusammen. Die Grünen Politikerinnen Jarasch und Kahlefeld wünschten sich mehr solcher Projekte in ganz Berlin. Die katholische Aachener Wohnungsbaugesellschaft, die auch in Neukölln das Arnold-Fortuin-Haus initiierte, leiste als Ausfallbürge für das Land Berlin eine Arbeit, die eigentlich von den sechs städtischen Wohnungsgesell-schaften geleistet werden könnte.

Bericht von: Christian Kölling, erschienen auf FACETTEN Neukölln, 08.04.2014.

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