Veranstaltungsbericht Kiezgespräch "Bürger*innenhaushalt in Neukölln? Wie ist es gelaufen und wie kann es besser gemacht werden"?

Bürger*innenhaushalte ermöglichen Bürgerinnen und Bürgern Mitbestimmung über die Verteilung von Haushaltsmitteln. Damit sind sie ein wichtiges Instrument um Teilhabe und Partizipation in Städten und Kommunen zu ermöglichen. Immer mehr Städte und Kommunen führen solche Beteiligungsverfahren durch, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Erfolgen. In Berlin soll im kommenden Jahr auf Landesebene ein Bürger*innenhaushalt einführt werden. Gelder dafür sind im Haushalt eingestellt. Der Prozess ist allerdings noch in Bearbeitung. Einige Berliner Bezirke, wie z. B. Lichtenberg, sind hier schon viel weiter und führen seit längerem bezirkliche Bürger*innenhaushalte erfolgreich durch.

Neukölln hat sich im letzten Jahr auch auf den Weg gemacht, ein wichtiger Schritt für mehr Beteiligung und Mitbestimmung im Bezirk. Unter dem Titel "Ihr Vorschlag für den Bezirkshaushalt 2022/2023!" konnten Neuköllnerinnen und Neuköllner im letzten Jahr Ideen und konkrete Vorschläge einbringen wofür der Bezirk seine Gelder ausgeben soll. Wie ist das Verfahren in Neukölln gelaufen, welche Ergebnisse wurden erzielt, wo hakt es und wie soll es in Zukunft in Neukölln weiter gehen? Diese Fragen standen im Zentrum des von mir am 18.11.2022 moderierten Kiezgesprächs zum Bürger*innenhaushalt in Neukölln. Auf dem Podium saßen Jörg Sommer, Leiter des Berlin Institut für Partizipation (bipar), Franziska Zeisig von der Anlaufstelle für Beteiligung in Neukölln und Tjado Stemmermann, Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung.

Franziska Zeisig von der Anlaufstelle für Beteiligung in Neukölln berichtete über das Verfahren in Neukölln. Die Anlaufstelle war erstmalig mit der Koordination beauftragt. Coronabedingt konnte das Beteiligungsverfahren in 2021 nur digital über mein.berlin erfolgen. Aus 180 eingereichten Vorschlägen wurden 60 sofort aussortiert. Hauptsächlicher Grund dafür war , dass der Bezirkkeine Zuständigkeit hatte. Über die restlichen Vorschläge konnten die Bürger*innen abstimmen. Die 25 am höchsten gerankten wurden von den zuständigen Fachämtern auf Umsetzbarkeit geprüft. Die Liste mit den Anmerkungen der Fachämter wurde danach sowohl der Bezirksverordnetenversammlung zur Abstimmung als auch dem Bezirksamt vorgelegt. Im Ergebnis werden nur 7 Vorschläge tatsächlich umgesetzt. Rückblickend stellte Franziska Zeisig fest, dass der Prozess noch nicht optimal gelaufen sei. Insbesondere die fehlende Kommunikation mit den Einreicher*innen von Vorschlägen habe den Prozess etwas intransparent und schwer greifbar gemacht. Durch die Nutzung von mein.berlin als Plattform sei es nicht möglich gewesen eine direkte Rückmeldung an Personen zu geben, die Vorschläge eingereicht haben, da dort alles anonym laufe.

Anschließend stellte Tjado Stemmermann fest, dass die sich Ende 2021 nach der Berlin-Wahl neu konstituierte Bezirksverordnetenversammlung weder über den Prozess noch über den Ablauf des Bürger*innenhaushalt informiert gewesen sei. In den Fachausschüssen wurde kaum inhaltlich über die einzelnen Vorschläge diskutiert. Der BVV sei nicht klar gewesen, welche Rolle sie in diesem Prozess auszufüllen habe. Gleichzeitig erreichten ihn und Kolleg*innen Nachfragen und Unmut von Bürger*innen, die Vorschläge eingereicht hatten und bis dato nicht (zufriedenstellend) kommuniziert bekommen hatten was mit ihren Vorschlägen geschehe oder warum sie nicht umgesetzt werden können.

Jörg Sommer stufte abschließend das Neuköllner Verfahren als „Bürger*innenbudget ohne Budget und ohne jede Verbindlichkeit“ ein. Er wies in diesem Zusammenhang noch einmal auf den konzeptuellen Unterschied zwischen Bürger*innenhaushalt und Bürger*innenbudget hin. Bei ersterem gehe es um die Mitsprache beim Gesamthaushalt einer Stadt oder Kommune und bei letzterem werde eine Summe X bereitgestellt, über deren Verwendung Bürger*innen entscheiden können. Diese Entscheidung müsse im Vorfeld eines Beteiligungsverfahrens getroffen und den Bürger*innen klar kommuniziert werden: worum geht es, was ist möglich und was nicht. Neukölln habe einen ersten Schritt gemacht, könne aber noch mehr von den Erfahrungen anderer Städte und auch Berliner Bezirke lernen. Ein gelingendes Verfahren hänge stark von dessen Umsetzung ab. Während des Prozesses braucht es kontinuierliche Kommunikation darüber in welcher Phase des Prozesses man sich gerade befinde und wie viel Zeit für jede Phase angedacht ist. Die Einschätzung der Fachämter zu den eingereichten Vorschlägen sollte vor der Abstimmung durch die Bürger*innen liegen Nach dem Verfahren ist vor dem nächsten. Auswertung, was haben wir gelernt, was ist nicht gut gelaufen gehören ebenso zu einem lernenden Prozess wie die Wertschätzung für alle, die sich beteiligt haben. Denn bei Bürger*innenbeteiligung gehe es auch um ein kontinuierliches gemeinsames Lernen zwischen Bürger*innen, Verwaltung und Politik.

Ausblick

Noch im November hat Tjado Stemmermann den Antrag „Bürger*innenhaushalt überarbeiten – Beteiligung transparent gestalten!“ in die Bezirksverordnetenversammlung eingebracht. Darin wird das Bezirksamt gebeten, „das Verfahren für den Neuköllner Bürger*innenhaushalt vor der Durchführung des Bürger*innenhaushalts 2023/ 2024 zu überarbeiten.“

 

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