Meine Rede im Parlament zum Thema konfrontative Religionsbekundungen an Schulen

Dass die AFD-Fraktion des Abgeordnetenhauses die Bestrebungen der Neuköllner SPD, eine Registerstelle zum Thema "konfrontative Religionsbekundung" an Schulen einzurichten, in ihrem Antrag aufgreift, zeigt einmal mehr welcher Geist hinter dieser "Registerstelle" steckt. In meiner Rede plädiere ich dafür, stattdessen dem Wunsch der Schulen nachzukommen und bestehende Beratungsnetzwerke für Schüler*innen und Lehrer*innen zu fördern.

Sehen Sie hier meine Rede im Video-Mitschnitt des rbb.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Präsidentin!

Es gibt im Bezirksamt Neukölln Bestrebungen, die Forderungen der Initiative „PRO Neutralitätsgesetz“ zu erfüllen und eine Registerstelle einzurichten, an die Lehrerinnen und Lehrer Vorfälle melden können, bei denen sie ein konfrontatives Verhalten ihrer Schülerinnen und Schüler im Kontext von Religion zu erkennen glauben. Die Befürworter und Befürworterinnen dieser Meldestelle halten den Verein DEVI e.V. für den geeigneten Projektpartner, da der Initiator der Initiative „PRO Neutralitätsgesetz“ zugleich Vorsitzender dieses Vereins ist – also alles aus einer Hand.

Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass ich weder die Initiative „PRO Neutralitätsgesetz“ noch die Idee einer Meldestelle für Lehrerinnen und Lehrer unterstütze. Lehrerinnen und Lehrer sollten die ihnen anvertrauten jungen Menschen in ihrer Entwicklung begleiten, statt sie zu denunzieren, schon gar nicht ohne Rücksprache mit den Eltern und den Jugendlichen selbst, so wie das in der Studie geschehen ist und auch weiter geschehen soll.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Was mich wirklich fassungslos macht, ist die konfrontative Wissenschaftsverachtung derer, welche die mögliche Mittelvergabe an das Projekt des DEVI mit der vorgelegten sogenannten Bestandsaufnahme begründen. Eine Anekdotensammlung, die als Proseminar von niemanden angenommen worden wäre. Hat uns Corona nicht gelehrt,
wie gefährlich Schwurbeleien und Fake News sind?

[Zuruf von der AfD: Oha!]

Die sogenannte Studie beruht auf Gesprächen an acht Neuköllner Schulen, die nicht genannt werden. Mit wie vielen Menschen gesprochen wurde, ist gar nicht klar. Ich vermute, so zwischen acht und zehn. Zwei Gespräche, die schon 2019 an Neuköllner Schulen geführt worden sind und die irgendwie passend erschienen, sind dazugenommen worden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Nicht jeder muss wissenschaftlich arbeiten können, man kann viel werden, ohne wissenschaftlich arbeiten zu können, aber wenn man wissenschaftlich arbeitet, muss man sich an die Regeln halten. Die einzige Person, die dieser sogenannten Studie bestätigt, wissenschaftlich zu sein, ist eine, die regelmäßig in rechten Netzwerken publiziert. Das Bezirksamt Neukölln ist mit dieser Anlaufstelle im Begriff, rechten Netzwerken Zugang zu unseren Schulen zu verschaffen. Die angeblichen Expertinnen und Experten sind einschlägig bekannt.

Ich rede zum wiederholten Male zu einem Antrag der AfD-Fraktion, der mit einem der CDU identisch ist. Ihnen, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, kann das, anders als der AfD, eigentlich nicht egal sein, zumal es eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung zum Thema konfrontative Religionsbekundung von muslimischen Schülerinnen und Schülern gibt, die allen Anforderungen genügt. Im Januar 2021 kam sie nach drei Jahren Arbeit mit 11 000 Schülerinnen und Schülern zu dem Ergebnis – ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin –:

"Konfrontative Religionsausübung und Islamismus stellen an manchen Schulen ein ernstzunehmendes Problemfeld dar. Entgegen der verbreiteten Wahrnehmung wird dieses Problem aber bereits seit einigen Jahren offen thematisiert und analysiert.Tatsächlich geben auch wir in Berlin seit zehn Jahren erhebliche Summen für Präventions- und Deradikalisierungsarbeit aus. An den beteiligten Schulen in NRW und Berlin gab es 63 Hinweise auf extremistische Verhaltensweisen. Nach dem Clearingverfahren blieben 30 Fälle – 11 Fälle im Bereich Rechtsextremismus, 19 Fälle im Bereich Salafismus/Islamismus. Zum Teil mussten Sicherheitsbehörden hinzugezogen werden."

Die Behauptung von AfD und DEVI, dass man ein neues Problem aufgedeckt habe, ist falsch. Es gibt seit Jahren in erheblichem Umfang Bundes- und Landesmittel für die Unterstützung der Schülerinnen und Schüler. Über 120 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen und Organisationen haben sich klar gegen diese geplante Stelle ausgesprochen. Die einzige Person, die dagegen steht, ist, wie gesagt, eine Professorin, die regelmäßig in rechten Netzwerken publiziert. Da können Sie selbst entscheiden, wem Sie glauben wollen oder nicht. Sie stellen diese Frau gegen Micha Brumlik, Andreas Goetze, Dr. Christine Funk von der Katholischen Hochschule, Dr. Katrin Visse von der Katholischen Akademie, außerdem gegen die GEW Berlin, „Schule in Not“ und nicht zuletzt gegen zwei angesehene SPD-Bildungspolitiker.

Als Neuköllner Abgeordnete weiß ich, dass diese Neukölln-is-a-Shithole-Rhetorik einen direkt in die Talkshows und Zeitungen bringt. Was glauben Sie denn, warum diese Studie in Neukölln gemacht wurde und nicht in Mitte, obwohl die Bevölkerungszusammensetzung genau die gleiche ist? Unseren Jugendlichen gegenüber ist das absolut verantwortungslos, oder um das mit einem Neuköllner Lehrer zu sagen: Wer solche Schlagzeilen provoziert und unwidersprochen stehen lässt, hat an unseren Neuköllner Schulen nichts zu suchen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN –Beifall von Sebahat Atli (SPD)]

Ich plädiere dafür, den Wunsch der Schulen aufzugreifen. Stärken wir die unabhängige Beschwerdestelle, Schulsozialarbeit, Respekt Coaches, Antimobbingprogramme, die bewährten Angebote. Die konfrontative Wissenschaftsfeindlichkeit derer, die die sogenannte DEVI-Studie verteidigen, ist brandgefährlich. Das hat Corona gezeigt, und das kann nicht die Richtschnur verantwortungsvoller Politik sein.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

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