Offener Brief an Senator Müller

Offener Brief an Senator Müller in Bezug auf die Bebauungsplanungen des Tempelhofer Feldes

21. November 2013

Sehr geehrter Herr Senator Müller,

für die Partei Bündnis 90/Die Grünen und die Unterzeichnenden ist das Tempelhofer Feld ein einmaliger Ort in Berlin, um den wir von vielen Städten zu Recht beneidet werden. Seine Weite und ökologische Vielfalt, aber auch die Vielfalt seiner Nutzungen durch die Bevölkerung müssen erhalten bleiben. Das schließt behutsame und schrittweise Veränderungen aus unserer Sicht nicht aus, sie sind in bestimmten Bereichen sogar durchaus wünschenswert.

Daher stehen wir Grünen einer Debatte über eine moderate bauliche Ergänzung an manchen Stellen, etwa durch neues Wohnen, soziale Infrastruktur und Gewerbe aufgeschlossen gegenüber. Wir finden es sinnvoll zu eruieren, ob zum Beispiel entlang des Tempelhofer Damms eine Randbebauung sinnvoll und realisierbar ist. Das schließt die Fragen ein, ob hier wirklich die bezahlbaren Wohnungen entstehen können, die Berlin so dringend braucht. Zuklären ist, wie dort das Lärmschutz- und die schon vorhandenen Verkehrsprobleme gelöst werden können und wer - im Sinne einer neuen Liegenschaftspolitik – die Partner*innen für eine gemeinwohlorientierte Entwicklung der landeseigenen Grundstücke sein könnten. Vor allem wollen wir aber für die Zukunft dieses besonderen Ortes eine vorbildhafte Beteiligungder Berlinerinnen und Berliner ermöglichen. Genau diese Prozesse sind aus unserer Sicht die Basis für moderne Stadtentwicklung, für die Berücksichtigung der Bedürfnisse und Nutzungsinteressen und letztendlich für die Schaffung von lebendigen Quartieren.

Deshalb haben wir es als positives Signal angesehen, dass Sie vor nunmehr fast zwei Jahren eine Lanze für einen kreativen Planungs- und Beteiligungsprozess gebrochen und dazu eingeladen haben. Sie haben damals vor ambitionierten Zeitplänen gewarnt und sich für eine behutsame Entwicklung des Feldes ausgesprochen. Das war richtig. Doch leider haben Sie Ihren Vorhaben keine Taten folgen lassen, im Gegenteil: Sie treiben inzwischen eine Schnellschuss-Planung voran, ignorieren dabei die Sorgen und Wünsche der Bevölkerung und betreiben Stadtentwicklung „von oben“.

Nur ein Beispiel: Seit Ende September liegen die ersten beiden Bebauungsplanentwürfe für das Tempelhofer Feld aus. Eine öffentliche Veranstaltung zur Vorstellung dieser Pläne hat im Flughafengebäude stattgefunden. Es wurde auf dieser Veranstaltung behauptet: "Alles ist noch offen!" Die Planungen weisen aber schon heute eine Detailtiefe auf, die einer offenen Planung und echter Bürger*innenbeteiligung Hohn sprechen. Ihre Senatsverwaltung schafft mit dem Bebauungsplan-Verfahren Fakten, Sie stellen damit die Berlinerinnen und Berliner vor vollendete Tatsachen.

Das Ergebnis: Die Planungskultur, das Vertrauen der Menschen in die Politik und nicht zuletzt das Tempelhofer Feld nehmen Schaden. In kürzester Zeit haben viele Berlinerinnen und Berliner das Volksbegehren „100% Tempelhofer Feld“unterschrieben. Wir haben den Eindruck, dass die Mehrzahl moderate Veränderungen vor Ort gar nicht rigoros ablehnt. Viele unterschreiben wohl, weil sie den Plänen des Senats misstrauen und sich in der Sorge nicht ernst genommen fühlen, hier finde ein weiteres Mal der Ausverkauf der Stadt statt. Andere Möglichkeiten, auf die Senatsplanungen Einfluss zu nehmen sehen sie momentan nicht.

Das hat vor allem folgende Gründe:

1. Es gab und gibt nach wie vor keine ernsthafte und ergebnisoffene Diskussion über dieGesamtplanung für das Tempelhofer Feld. Die Bedenken und Hinweise, die bei der Präsentation des Masterplans vorgebracht wurden, hatten keinerlei Einfluss auf die weitere Planung. Im Gegenteil: Sie halten seit Jahren an ein und denselben Konzepten von gesternfest.

2. Es liegt nach wie vor kein Sanierungsplan und kein Nutzungskonzept für das Flughafengebäude vor. Solange dies fehlt, droht die Gesamtentwicklung des Feldes zum Millionengrab zu werden. Es sei denn, die Defizite aus der Gebäude-Bewirtschaftung werden über eine hochpreisige Verwertung der Baufelder aus geglichen - dann werden Sie aber Ihr Versprechen, dort für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, nicht halten können.

3. Ihre Bebauungspläne sind städtebaulich problematisch, weil sie viel zu dicht und zu massiv sind. Von den aktuell 300 Hektar Parkfläche sollen nur noch 200 Hektar übrig bleiben, d.h. ein Drittel der Parkfläche würde wegfallen.

4. Die geplanten Wohnungen sind mit Durchschnittsflächen zwischen 90 und 120 qm und Mietpreisen, die trotz öffentlicher Wohnungsbauförderung zwischen 6 und mehr als 10 Euro liegen, keineswegs die kleinen und bezahlbaren Wohnungen, die in Berlin dringend benötigt werden. Eine spürbare Entlastung des Berliner Wohnungsmarkts wird es so nicht geben.

5. Die Frage der Verkehrs- und Lärmbelastung ist völlig ungelöst. Dem Tempelhofer Damm droht durch zusätzliches Verkehrsaufkommen der Kollaps.

6. Der Ausbau der sozialen Infrastruktur ist - gemessen an der Dimension des geplanten Wohnungsneubaus - vollkommen unzureichend. Die umliegenden Schulen werden zum Beispiel mit den minimalen Stadtumbau-Mitteln die zusätzlichen Kinder nicht aufnehmen können. Wohnumfeldnahe soziale Infrastruktur für Kinder und alle anderen fehlt in Ihren Planungen komplett. Von der versprochenen Kreativität für inklusive Wohnkonzepte kann man darin nichts wieder finden.

7. Lebendige Quartiere entstehen durch Kleinteiligkeit und Vielfalt. Die von Ihnen beabsichtigte Vergabe der Flächen am Südring und am Tempelhofer Damm an nur drei Bauherren führt zur Schaffung sehr großer Grundstücksparzellen. Das lässt befürchten, dass das Gesicht des neuen Quartiers ein trostloses wird.

8. Die Kosten für die ZLB wurden bisher nur auf Grundlage der Baupreise anderer Bibliotheken grob geschätzt. Eine fundierte Untersuchung liegt nicht vor. So wurde auch keineswegs ernsthaft geprüft, ob eine Bibliothek im Flughafengebäude günstiger wäre. Schließlich muss das denkmalgeschützte Gebäude dringend saniert werden. Niemand versteht, dass sich Berlin hier ein weiteres Mal mit einem großen und teuren Neubauprojekt überhebt, während in den Bezirken immer mehr Stadtteilbibliotheken aufgrund fehlender Finanzmittel geschlossen werden.

9. Last but not least: Die Planungen für das Regenwasserbecken und den „Wall“ werden durchgepeitscht, ohne Berücksichtigung der Einwände von Bürger*innen und Verbänden. Das Naturschutzrecht wird dabei mit Füßen getreten. Was zunächst ökologisch klingt, ist laut Expert*innen ein  „Eventbecken“ - ohne Mehrwert für Umwelt und Klima.

Deshalb fordern wir Sie auf:

• Schaffen Sie keine Fakten, stellen Sie die Berliner innen und Berliner nicht einfach vor vollendete Tatsachen!

• Stellen Sie das Bebauungsverfahren zurück und lassen Sie die Einwendungen der Berlinerinnen und Berliner in die Erarbeitung eines neuen Masterplans einfließen.

• Starten Sie dafür ein ernsthaftes und ergebnisoffenes Beteiligungsverfahren zur Entwicklung eines Gesamtkonzepts für das Tempelhofer Feld.

• Entwickeln Sie einen Sanierungsplan sowie ein tragfähiges Nutzungskonzept für das Flughafengebäude, bevor Sie mit der Planung der Baufelder voranschreiten.     

• Stoppen Sie die Planung des teuren Eventbeckens, des Erdwalls und des Rundweges.

Sehr geehrter Herr Senator Müller,

das Tempelhofer Feld und die Berliner Bevölkerung haben eine breite und qualifizierte Debatte über die Zukunft des Areals verdient, mit einem Höchstmaß an Bürger*innenbeteiligung und einer gemeinsamen Suche nach guten Lösungen. Wir wären gern konstruktiv-kritische Gesprächspartner*innen und wissen, dass es viele Initiativen, Verbände, Expert*innen und engagierte Bürger*innen gibt, die sich ebenfalls an einem solchen Prozess beteiligen wollen. Von der Offenheit für echte Beteiligung würden alle profitieren, auch die Senatsverwaltung. Denn Ergebnisse, die mit breiter Beteiligung entwickelt und von vielen mitgetragen werden, sind für die Sache und ihre Akzeptanz immerein Gewinn. Wir fordern Sie deshalb auf, innezuhalt en, sich an Ihre ursprünglichenVersprechen zu halten und die große Chance, die das Tempelhofer Feld für Berlin und eine moderne Stadtentwicklung darstellt, nicht leichtfertig zu verspielen.

Mit freundlichen Grüßen,

Sibyll Klotz, Bezirksstadträtin in Tempelhof-Schöneberg

Hans Panhoff, Bezirksstadtrat in Friedrichshain-Kreuzberg   

Bettina Jarasch, Daniel Wesener & der Berliner Landesverband Bündnis 90/Die Grünen           

Antje Kapek, Ramona Pop & die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus            

Renate Künast, MdB, Tempelhof-Schöneberg      

Susanna Kahlefeld, MdA, Neukölln           

Anja Kofbinger, MdA, Neukölln          

Catherina Pieroth  & der Kreisvorstand Bündnis 90/Die Grünen in Tempelhof-Schöneberg        

Annika Gerold, Werner Graf & der Geschäftsführende Ausschuss Bündnis 90/Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg         

Jörn Oltmann & die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVV Tempelhof-Schöneberg   

Paula Riester, Jonas Schemmel & die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der BVVFriedrichshain-Kreuzberg

« Zurück