Rede für die Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren für die Verwaltung und Unternehmen mit mehrheitlicher Landesbeteiligung

Rede im Berliner Abgeordnetenhaus, 27.September 2012
(Videomitschnitt des Rbb)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Wir begrüßen den Antrag der Piratenfraktion zur Einführung anonymisierter Bewerbungen. Modellversuche hat es allerdings schon genug gegeben. Es wäre an der Zeit, endlich diese Bewerbungsverfahren einzuführen, sowohl in der Verwaltung als auch in den Unternehmen mit mehrheitlicher Landesbeteiligung. Die Einführung von Bewerbungen ohne Foto wäre sofort möglich und schon ein erster Schritt in die richtige Richtung. In Frankreich, der Schweiz, Schweden und Großbritannien haben Studien die positiven Effekte anonymisierter Bewerbung belegt. Belgien hat bereits seit Anfang 2005 gesetzlich festgelegt, dass in Bewerbungen für die Verwaltung weder der Name, noch Alter oder das Geschlecht stehen dürfen. In den USA, dem Land, das zugleich ein erfolgreiches Quotensystem vorzuweisen hat, sind anonymisierte Bewerbungen Standardverfahren.

Es handelt sich also – um diesen Einwand vorweg zu nehmen, den Frau Becker gerade noch einmal genannt hat – nicht um eine Alternative zu den sogenannten positiven Maßnahmen, sondern beides sind Verfahren, die durchaus vereinbar sind.  Positive Maßnahmen, eine Bevorzugung bestimmter Gruppen in Bewerbungsverfahren, sind in Deutschland ohnehin nur bei gleicher Qualifikation möglich. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung eröffnen den Zugang zu öffentlichen Ämtern. Eignung, Befähigung und fachliche Leistung als solche wahrzunehmen und objektiv einzuschätzen ist aber offenbar genau das Problem, wenn man das Bewerbungsfoto einer Frau oder einen Bewerber mit dem Geburtsort Bagdad vor sich hat. 

Internationale Erfahrungen und das kürzlich abgeschlossene Modellprojekt der Bundesregierung haben gezeigt, dass mehr Frauen und mehr Menschen mit Migrationshintergrund zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden, wenn sie die Chance hatten, sich anonym zu bewerben, also ganz ihre Qualifikation in den Vordergrund zu stellen. Anonymisierte Bewerbungsverfahren unterstützen somit die in der Antwort auf meine Kleine Anfrage vom 19. April genannten positiven Maßnahmen des Berliner Senats zur Erhöhung des Migrantinnen- und Frauenanteils.

Eine beim Institut zur Zukunft der Arbeit erschiene Studie belegt, dass allein die Angabe eines türkischen Namens ausreicht, die Chance auf ein Vorstellungsgespräch um 14 Prozent zu senken. In kleineren Unternehmen sind es sogar 24 Prozent. Der „Tagesspiegel“ berichtete vor zwei Wochen, dass von den 31 000 aus der Türkei, die Deutschland seit 2010 verlassen haben, gut 20 000 im erwerbsfähigen Alter sind. Es sind also nicht etwa die Rentner, die es in den Süden zieht, sondern Menschen, die gehen, weil sie woanders größere berufliche Chancen sehen. 

Seit Jahren beobachten wir die Abwanderung von gut ausgebildeten Menschen vor allen Dingen in den angelsächsischen Raum, wo es für Frauen und Männer mit Namen wie Tschingis Aitmatow oder Wole Soyinka sehr viel leichter ist, eine adäquate Stelle zu bekommen, als im partizipationspolitischen Entwicklungsland Deutschland.

 Das Modellprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat vor allen Dingen gezeigt, dass anonymisierte Bewerbungsverfahren mit einem standardisierten Bewerbungsformular praktikabel und ausgesprochen unkompliziert sind. Im ersten Schritt der Auswahl der Bewerber und Bewerberinnen wird auf Foto, Namen und Geburtsdatum bzw. Altersangabe sowie auf Informationen zum Familienstand und zur Herkunft verzichtet. – Wer dann detektivisch tätig sein möchte, um es doch herauszubekommen, kann das ruhig machen. – Das kann, wie in Celle erprobt, durch Onlinebewerbungen geschehen, in denen diese Angaben zunächst blind geschaltet werden. Die vollständigen Unterlagen bringen die Bewerber und Bewerberinnen dann im zweiten Schritt zum Vorstellungsgespräch mit.

Wir werden den Antrag im Ausschuss beraten und dort auch unsere Kritik einbringen. Wir hoffen, dass wir in der Sache zusammenführen. In der Beantwortung meiner Kleinen Anfrage wurde die Einführung nicht abgelehnt, und Frau Kolat hat in diesem Sommer noch einmal explizit von den Unternehmen eingefordert, dass anonymisierte Bewerbungen einzuführen seien. Sie kennt deren Vorteile also genau.

« Zurück