Dokumentation zum Fachgespräch "Interkulturelle Friedhöfe? Islamische Begräbnisstätten? Wohin wollen wir in Berlin?

Islamische Friedhöfe sind noch nicht sehr verbreitet. Wieso eigentlich, wenn seit Jahrzehnten und Generationen doch sehr viele Musliminnen und Muslime unter uns leben? Das Thema wird zunehmend wichtig: Immer mehr muslimische Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter altern und sterben.
Die Dokumentation entstand nach dem KoPoFo-Fachgespräch von Susanna Kahlefeld (MdA) zum Thema "Interkulturelle Öffnung der Friedhöfe? – Islamische Begräbnisstätten?" am 25.01.2013 im Rathaus Mitte

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· Ist es religiöse Pflicht für die Muslime auf einem islamischen Friedhof bestattet zu werden?
Eine eigene islamische Ruhestätte ist nicht Pflicht, aber dennoch für die Gläubigen wichtig. Als wichtiges Zeichen der Partizipation müssen muslimische Berlinerinnen und Berliner die Möglichkeit haben eine Bestattung gemäß ihren religiösen Vorstellungen in ihrer Heimatstadt Berlin durchzuführen.

· Welche islamischen Bestattungsregeln gibt es?
Es sind ausschließlich Erdbestattungen erlaubt, und dies nur auf einem Grabfeld unter anderen Muslimen. Zu den Vorschriften und religiösen Pflichten gehören die rituellen Waschungen, in der Regel von den nächsten Verwandten (eine Frau wäscht eine Frau, ein Mann einen Mann); das Einhüllen in die vorgeschriebenen Leichentücher, die Verrichtung des rituellen Totengebets; die Ausrichtung der Grabanlage nach Südosten gen Mekka; die Bestattung des Leichnams liegend auf der rechten Körperseite, Kopf nach Westen, Füße nach Osten, das Gesicht in Richtung Kaaba; die Absolvierung der Bestattung eines Toten so schnell wie möglich, in einem Zeitraum von 24 Stunden, spätestens 48 bis 96 Stunden. Sarglose Bestattung, bei der der Körper des/der Toten von Familienmitgliedern in der Grube in Empfang genommen und gebettet werden kann, Lösung der hygienischen Probleme eines mehrfach verwendeten "Transportsarges" für die Körper von der Leichenhalle bis zum Grab. Die Bestattung ohne Sarg ist möglich, wird aber selten in Berlin praktiziert. Für den Bestatter ist die Beisetzung im Sarg einfacher. Zudem ist die Beschaffenheit des Berliner Erdreichs für eine sarglose Bestattung ungeeignet, da der Sand schnell nachrutscht. An den Beisetzungen nehmen Hunderte Menschen teil. Aber nicht nur die Größe der Trauergemeinde, sondern auch die Länge der Zeremonie lässt sich schwer in einen Ablauf einer christlichen oder konfessionslosen Beisetzung einpassen. Besondere Waschräume, aber auch Kühlräume und Gebetsräume gemäß des Islam sind wünschenswert.

· Müssen islamische Beisetzungen ewiges Ruherecht und unberührte Erde garantieren?
Das Gebot der ewigen Totenruhe stößt auf kommunalen Friedhöfen schon auf Grund des Flächenbedarfs an Grenzen. In der Regel wird sie nicht gewährt, üblich ist in Berlin eine Totenruhe von zwei Jahrzehnten. Außerdem ist es in der Türkei üblich, in die Gräber, wenn der Körper verwest ist, wiederum Tote zu legen. So ist es auch in Deutschland: Nach einer bestimmten Frist kann das Grab neu "belegt" werden und so liegen in einem Familiengrab oft viele Generationen quasi über einander. Möglich und durchaus üblich ist es hier genauso wie in der Türkei, dass man für eine Verlängerung der Pacht für ein Familiengrab nach 25 oder 50 Jahren - es muss einfach neu bezahlt werden. "Jungfräuliche Erde", also Boden, in dem nie ein/e Tote/r lag ist nicht nötig. Es gibt auf dieser Erde kaum einen Fleck, an dem nicht schon einmal Tote lagen.

· Welche Regelungen gibt es in Berlin?
Die Grundlagen der islamischen Bestattung finden sich in den Artikeln X und XI PartIng von Oktober 2010. Rituelle Waschungen von Leichen dürfen nur in den vom Bezirksamt hierfür als geeignet anerkannten Räumen in Leichenhallen oder religiösen Einrichtungen unter Einhaltung geeigneter hygienischer Schutzmaßnahmen durchgeführt werden. Die Waschungen finden derziet häufig nicht auf dem Friedhof statt. Abweichend von der Pflicht nach § 10 Satz 1, in einem Sarg zu bestatten, können Leichen aus religiösen Gründen auf vom Friedhofsträger bestimmten Grabfeldern in einem Leichentuch ohne Sarg erdbestattet werden. Die Leiche ist auf dem Friedhof bis zur Grabstätte in einem geeigneten Sarg zu transportieren.

· Wo können sich Muslime derzeit in Berlin ihrem Glauben entsprechend bestatten lassen?
Es gibt zwei landeseigene Friedhöfe mit islamischen Grabfeldern in der Stadt, am Columbiadamm und in Gatow (Spandau). Beide sind städtische Friedhöfe, auf denen Teilbereiche für Begräbnisse nach islamischem Ritus vorgesehen sind. Der Tempelhofer Friedhof war ursprünglich Garnisionsfriedhof, gleich nebenan wurde 1798 Ali Aziz Efendi, der ständige osmanische Gesandte am Berliner Hof, beigesetzt, und Wilhelm I. schenkte 1866 dem türkischen Sultan Abdülaziz das Gelände des heutigen islamischen Friedhofs im Hoheitsbereich der Türkei. Es ist der älteste Friedhof Deutschlands, er wurde immer wieder erweitert. Schon einmal, in den Sechzigerjahren, war der Friedhof voll. Er expandierte dann auf den benachbarten Garnisonsfriedhof. 1500 Menschen liegen auf dem islamischen Teil des Friedhofs am Columbiadamm begraben. In Spandau sind momentan 3100 Musliminnen und Muslime bestattet. Die Bestattung kann jedoch nicht nach islamischen Ritus durchgeführt werden. Die Bezirksverwaltung ist überfordert die bestehenden Fragen und Wünsche zu klären, zumal wenig Kontakt zu muslimischen Verbänden besteht und die Frage nach einem neutralen Ansprechpartner für den Bezirk nicht geklärt ist. Obwohl im Spätherbst 2012 ein neues Grabfeld in Gatow angelegt wurde, ist die Friedhofsverwaltung an der Leistungsgrenze. Im Stundenrhythmus mit einem Wechsel zwischen christlichen und muslimischen Begräbnissen finden Bestattungen statt.

· Welche Bedürfnisse haben die muslimischen Familien?
Die muslimischen Familien wünschen sich einen zentralen und gut erreichbaren Ort. Zudem wird gewünscht einer Friedhofsverwaltung gegenüberstehen, die die Regeln einer islamischen Bestattung kennt und alle Voraussetzungen für ihre Einhaltung schaffen. Die Nähe zu den Verwandten hat Priorität. Das bestehende Grabfeld in Gatow liegt für die meisten Muslime und Musliminnen sehr weit entfernt. Die Tradition mit einem mehrmaligen Gebet für die angehörigen Verstorbenen am Grab ist dort nicht möglich.

· Brauchen wir überhaupt mehr Grabfelder für muslimische Bestattungen?
Zukünftig werden durch die älter werdende erste Generation der „Gastarbeiter“ immer mehr Muslime in Berlin sterben. Momentan sind es ungefähr 1000 Sterbefälle jährlich, davon werden 90% in die Heimatländer überführt. Schätzungen gehen davon aus, dass 30% der ca. 240.000 Berlinerinnen und Berliner türkischer Herkunft eine Bestattung in Berlin bevorzugen. Zukünftig wird erwartet, dass ca. die Hälfte der Musliminnen und Muslime sich in Berlin beisetzen lassen.

· Welche Lösungen kann es geben?
Prinzipiell sind unterschiedliche Konstruktionen denkbar, die jedoch alle langfristige Lösungen bieten müssen.
1. Die Erweiterung des Friedhofs am Columbiadamm,
2. weitere städtischen Friedhöfe bieten Grabfelder und
3. die evangelischen Friedhöfe treten Grabflächen ab.
Langfristig wird eine eigene muslimische Friedhofsverwaltung gegründet.

· Was unternehmen die muslimischen Verbände?
Innerhalb des Islamforums hat sich eine Friedhofs-AG gegründet, die sich aus den türkischen Verbänden DITIB und der Islamischen Förderation und dem arabischen Träger Ibmus zusammensetzt. Das gemeinsame Ziel ist eine eigene muslimische Ruhestätte in Berlin. Am 16. Januar 2013 wurde vom Islamforum eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, mit der Fragestellung, ob ein Erweiterung eines islamischen Grabfeldes am Friedhof am Columbiadamm realisierbar ist. Maximal würde diese Erweiterung für fünf Jahre eine Perspektive bieten.

· Wie gehen andere Städte damit um?
Hamburg hat einen Staatsvertrag mit den Muslimen abgeschlossen. Danach können Musliminnen und Muslime eigene Friedhöfe gründen. Damit könnten muslimische Verbände in Zukunft auch islamische Friedhöfe verwalten.

· Wie steht die evangelische Kirche dazu?
Die evangelische Kirche unterhält in Berlin über 40 Friedhöfe. Vor ca. 10 Jahren begann die Evangelische Kirche sich um die Frage der zukünftigen Nutzung der Friedhöfe Gedanken zu machen. Nach dem geltenden Friedhofsentwicklungsplan sind 40% der bestehenden Flächen Übergangsflächen. Vorschläge, welche Friedhöfe zu schließen sind, werden gesammelt. Dabei sollen Friedhöfe, die als Denkmale eingestuft sind, als historische Zeugnisse zu schützen und zu erhalten. Auf den Friedhöfen in evangelischer Trägerschaft kann jeder beigesetzt werden unabhängig von Konfession oder Religion.

· Welche Lösung haben andere christliche Gruppen gefunden?
Die syrisch-orthodoxe Gemeinde hat für ihre Gemeindemitglieder eine Lösung gefunden, in dem sie eine Teilfläche auf dem Friedhof St. Thomas erworben hat. Die Gestaltung der Grabanlagen wird dort in Eigenverantwortung entschieden. Ebenfalls besteht eine Verpflichtung seitens des Friedhofsträgers Grabflächen für griechisch-orthodoxe Bestattungen zur Verfügung zu stellen.

· Gibt es auch außerhalb der christlichen Konfessionen bereits Vereinbarungen zur Bestattung auf evangelischen Friedhöfen?
Bei den Bestattungen von anderen Religionen außerhalb des Christentums haben bisher die kurdischen Jesiden eine Vereinbarung getroffen. Die evangelische Kirche ist offen für verschiedene Möglichkeiten, die in gemeinsamen Gesprächen ausgehandelt werden müssen.

Dokumentation: Susanna Kahlefeld, MdA

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