Engagement neu denken: Perspektiven der Engagementpolitik nach 2015 und nach 2020

Das Selbstverständnis von Engagement seit 2015 hat sich verändert: es ist sichbarer, politischer, digitaler geworden. Nun geht es um einen zukunftsfähigen Rahmen für das vielfältige Engagement in Berlin

 

Am 18. Juni 2020 luden meine Kollegin Bettina Jarasch und ich zur Auftaktveranstaltung der Online-Diskussion-Reihe „Engagement neu denken: Perspektiven der Engagementpolitik nach 2015 und nach 2020“ ein.

 

Hintergrund und Ziel der Online-Diskussion-Reihe

Fünf Jahre nach 2015 ist die engagierte Zivilgesellschaft in der Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen erneut besonders gefordert. Genau wie 2015, als flächendeckend die Zivilgesellschaft in vielen unterschiedlichen Projekten und Initiativen Antworten auf die Herausforderung gefunden hat eine größere Zahl gleichzeitig in Deutschland ankommender Geflüchteter aufzunehmen und zu integrieren, reagieren heute zivilgesellschaftliche Organisationen mit großem nachbarschaftlichem und solidarischem Engagement, knüpfen breite zivilgesellschaftliche Bündnisse und engagieren sich in professionellen Arbeitsstrukturen.

Ziel dieser Online-Diskussion-Reihe soll sein ein neues Selbstbewusstsein von Engagement und ein neues politisches Verständnis von Engagement zu diskutieren und konkrete Forderungen an Politik und Verwaltung für eine gute Engagementpolitik zu entwickeln, damit Engagement einen zukunftsfähigen und dauerhaft (nicht nur in Krisenzeiten) tragfähigen Rahmen erhält. Die Folgeveranstaltungen werden sich diesen Themen widmen:

  1. Unterstützungsstrukturen für zivilgesellschaftliches Engagement
  2. Neue Wege der Finanzierung ehrenamtlichen Engagements
  3. Demokratiefördergesetz für das Land Berlin

 

Die Auftaktveranstaltung

Die Auftaktveranstaltung hatte zum Ziel die aktuelle Lage freiwilligen Engagements in Berlin nachzuzeichnen. Als Diskussiongäste waren Dr. Holger Krimmer (Geschäftsführer der ZiviZ gGmbH), Dagmar Albrecht (Projektkoordination House of Resources Berlin / Fundraising Interkular gGmbH) und Carola Schaaf-Derichs (Geschäftsführerin der Freiwilligenagentur Berlin) eingeladen.

Holger Krimmer stellte die wichtigsten Ergebnisse der Studie „Die Lage des freiwilligen Engagements in der ersten Phase der Corona-Krise” der ZiviZ gGmbH vor. Einige Muster ehrenamtlichen Engagements von 2015 würden sich wiederholen: die schnelle und passgenaue Reaktion der Initiativen, die Innovationskraft in Nachbarschaften, die Fähigkeit, sich selber zu organisieren. 

Problematisch erweise sich die ökonomische Lage von zivilgesellschaftlichen Organisationen, sowohl kurzfristig gesehen: normalerweise tragfähige Finanzierungsmixe aus wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb, Spenden, Mitgliederbeiträge sind betroffen - viele dieser Vereine und Organisationen stehen kurz vor der Insolvenz, als auch langfristig gesehen: die Wirtschaftsprognosen der Europäischen Union rechnen mit einer europaweiten Rezession, es ist gut möglich, dass eine Phase auf uns zukommt, in der massiv gespart werden müsse und damit Finanzierungen wegbrechen.

Digitalisierung stelle sich gleichzeitig als Ausweg und als eine neue Herausforderung dar. Digitale Kommunikationsformen und digitale Formate werden stärker genutzt, ausprobiert und gelangen so raus aus der Nische. Anderseits gäbe es aber einen Konflikt zwischen Datensicherheit und digitaler Handlungsfähigkeit. Ein weiteres Problem sei der Generationen-Gap, nicht für alle Personen funktionieren diese digitalen Angebote. Ausserdem gäbe es weiterhin einen großen Unterschied in der digitalen Infrastruktur zwischen Städten und ländlichen Regionen.

 

Dagmar Albrecht stellte das Modellprojekt „House of Resources“ als eine gut gelungene Antwort des BAMF auf die bestehende Asylproblematik vor: Hier werden Migrant*innenorganisationen und Vereine aus dem Bereich Migration mit ihrem ehrenamtlichem Engagement (Willkommenskultur) gestärkt. Im Rahmen dieses Projektes konnten gute Erfahrung gesammelt werden, wie auf gesamtgesellschaftliche Situationen angemessen reagieren könne.

Zur Problembeschreibung verwies sie auf vier zentrale Bereiche:

  1. Finanzierung/Förderstrukturen: Förderstrukturen seien in einem alten Denken verhaftet. Es brauche viel mehr Finanzierungsmöglichkeiten für strukturelle Bedarfe, auch um Verstetigung zu erreichen. Neue Ideen können z.B. Leistungsverträge sein
  2. Beratung: In Berlin gäbe kein ausreichendes Angebot an Beratungsstrukturen. Es brauche insbesondere ein Modellprojekt für dezentrale Beratung.
  3. Räume: In Berlin gäbe es nicht ausreichend Raumkapazitäten. Die Verfügungsstellung von Räumen sei auch eine Form von Anerkennung für Engagement.
  4. Vernetzung: Eine gute Vernetzung zwischen Initativen/Organisationen und Politik, Verwaltung sei wichtig. Dafür brauche es mehr Vermittlung in Form von dezentralen Vernetzungsangeboten in der Stadt.

 

Carola Schaaf-Derichs berichtete von der 13. Berliner Freiwilligenbörse, die in Form von digitalen Seminarreihen während der Corona-Krise veranstaltet worden ist. Themen waren u.a. Plattformzusammenarbeit, Information und Beratung.

Während der Corona-Krise seien viele Projekte in einer Art „Schockstarre“ gefallen. Nur ein Bruchteil sei in der Lage gewesen auf die neue Situation und die Restriktionen in Bezug auf Hygiene, Kontaktbeschränkung, digitale Kommunikation sofort zu reagieren. Der Beratungsbedarf sei rasant angestiegen, insbesondere zu den Fragen: Wie kommen wir an Geld?, Wie organisieren wir Arbeitsprozesse neu?, Wer ist mein*e Ansprechpartner*in? Gleichzeitig wurde die Forderung nach Krisensicherheit wieder aktuell.

Digitalisierung sei in vieler Hinsicht ein Hilfsmittel gewesen, könne aber nicht die Lösung für alles sein, denn damit kämen auch viele neue Fragen und Problematiken auf.

Konkrete Forderung an die Politik sind:

  1. Digitalisierungsprozesse müssen neu aufgestellt und auch politisch unterstützt werden.
  2. Es brauche eine konkrete Netzwerkförderung und Kooperationskultur/ Beratung (im Sinne von „Good Governance“). Es müssten ähnliche Krisenstrukturen wie zwischen Politik und Wirtschaft etabliert werden; Rettungsschirme würden nicht reichen. Stattdessen brauche es eine krisensichere Zusammenarbeit.

 

Alle drei Expert*innen betonten noch einmal, dass zivilgesellschaftliche Projekte Seismographen für die Entwicklung der Gesellschaft seien und daher politisch mehr Beachtung erfahren sollten. Bisher werde Zivilgesellschaft noch immer als ein Objekt der politischen Gestaltung verstanden werde und nicht als Subjekt, nicht als Partnerin in der Krise und Akteurin auf Augenhöhe.

 

Nach der Sommerpause finden ab September drei Folgeveranstaltungen zu konkreten Themen statt: 1. Unterstützungsstrukturen für zivilgesellschaftliches Engagement, 2. Neue Wege der Finanzierung ehrenamtlichen Engagements und 3. Demokratiefördergesetz für das Land Berlin

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