Meine Rede im Parlament zum CDU-Gesetzentwurf zur Einführung einer Volksbefragung

Zum Videomitschnitt meiner Rede am 19.11.2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Dass wir der von der CDU vorgelegten Verfassungsänderung nicht zustimmen können, ist, denke ich, klar geworden aus dem, was schon die Vorredner gesagt haben. Einige Gründe, die auch für uns gelten, hat der Kollege Efler schon dargelegt.

Der Antrag ist für uns so nicht zustimmungsfähig. Er bedeutet nämlich keinen Fortschritt für die direkte Demokratie. Er macht stattdessen deutlich, wie die Berliner CDU zur direkten Demokratie steht. Sehen wir uns die Begründung an –ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin einen Satz –: Das Ziel dieser Verfassungsänderung ist eine Stärkung der direkten Demokratie dahingehend, dass der Legislative die Möglichkeit gegeben wird...

Man stärkt die direkte Demokratie nicht dadurch, dass man der Legislative Möglichkeiten gibt. Das Abgeordnetenhaus soll entscheiden können, ob es eine Befragung gibt, und das mit einfacher Mehrheit. Das Vertrauen der CDU in das Ergebnis der Befragung ist dann aber derart begrenzt, dass das Ergebnis nur empfehlenden Charakter haben soll.

Wozu also das ganze Theater einer Verfassungsänderung? –Auch das steht in der Begründung. Es wird ganz richtig festgestellt, dass Volksgesetze, also Gesetze, die durch einen Volksentscheid zustande gekommen sind, natürlich, wie jedes andere Gesetz auch, durch das Berliner Abgeordnetenhaus mit einfacher Mehrheit geändert werden können. Das hat die Koalition in der letzten Legislatur auch getan: Das Tempelhofer-Feld-Gesetz wurde von ihr geändert, um Container und eine 3 Millionen Euro teure Traglufthalle aufzustellen, die dann nie benutzt wurde.

Meine Fraktion hat das damals aus demokratietheoretischer Sicht kritisiert, denn es gibt eine enorme Asymmetrie zwischen dem Aufwand, den es erfordert, als Initiative ein Gesetz zu schreiben – hier im Haus lässt man sich das von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern machen –, die Stadtgesellschaft über die eigenen Anliegen dann zu informieren, sie davon zu überzeugen, dass der eigene Gesetzentwurf gut ist, die Unterschriften zu sammeln, den Kampf mit den Verwaltungen zu führen, Geld für die Kampagne aufzutreiben usw. Diese enorme Asymmetrie, die natürlich nur bei einem echten Volksbegehren vorhanden ist, und nicht bei den Kampagnen ehemaliger Politiker und Oppositionsparteien, verlangt von der Legislative Respekt vor dem Ergebnis eines Volksbegehrens – den Respekt nicht nur vor der Willensäußerung, die ein Volksbegehren ausdrückt, sondern vor allem auch vor der ernsthaften argumentativen Arbeit, die nötig ist, um es zu einem Erfolg zu führen.

Dieser Respekt fehlt in diesem Antrag. Es sollen einfach nur gesellschaftliche Verwerfungen vermieden werden, das heißt: politischer Ärger. Das Ergebnis der Volksbefragung, das die Legislative mit einer Mehrheit initiieren kann, soll dann konsequenterweise nur empfehlend sein. Wenn wir in Berlin wirklich für die Ergebnisse direkter Demokratie einen gewissen Schutz einführen wollten, sollten wir eine Regelung schaffen, wie sie in Hamburg besteht. Dazu wurde schon einiges gesagt. In Hamburg geht die Initiative von den Bürgerinnen und Bürgern aus; diese werden aktiv, wenn sie das durch eine Initiative zustande gekommene Gesetz unverändert lassen wollen, oder Zweifel an der Änderung durch das Parlament haben. Der demokratiebelebende Vorteil echter Volksbegehren liegt in der Notwendigkeit zu kommunizieren und zu argumentieren. Eine Initiative hat nicht von sich aus schon Aufmerksamkeit und Unterstützung. Die argumentative Arbeit, die sie aufwenden muss, um beides zu erlangen, unterscheidet sie von der hier vorgeschlagenen Placebo-Einbeziehung, die darin besteht, bequem, mit einfacher Mehrheit einen Beschluss zu fassen, aus öffentlichen Mitteln Abstimmungszettel zu drucken, zu einem beliebigen Termin über einen klug, im eigenen Interesse formulierten Vorschlag abstimmen zu lassen und am Ende das Ergebnis als Vorschlag zu behandeln.

Wir Grünen gehen in unserem Programm noch einen Schritt weiter als die Hamburger und fordern eine verfassungsmäßige Verankerung des Einspruchsreferendums.

[Lachen von Torsten Schneider(SPD)]

Ein Einspruchsreferendum würde bedeuten, dass Gesetze und Beschlüsse des Abgeordnetenhauses grundsätzlich durch ein Referendum vom Volk ausgehend aufgehoben werden könnten. In diesem Fall müsste dann abgewartet werden, bis das Ergebnis des Einspruchsreferendums vorliegt. Kommt das Referendum nicht zustande, kann das Gesetz in Kraft treten; kommt es aber zustande, muss innerhalb einer bestimmten Frist eine Referendumsabstimmung eingeführt werden. Mit diesem Verfahren könnten die Bürgerinnen und Bürger in dasGesetzgebungsverfahren wirklich aktiv eingreifen. Die Hürden und die Fristen müssten natürlich so gestaltet werden, dass dieser direktdemokratische Eingriff gut begründet und breit getragen sein muss.

Aber abgesehen von dem, was noch alles möglich und wünschenswert wäre, um die direkte Demokratie in Ber-lin weiterzuentwickeln: Die Koalition hat in dieser Legislaturperiode die direkte Demokratie wirklichgestärkt – durch Fristen, Kostentransparenz und Berechenbarkeit der Verfahren. Das alles sind gute, gemeinsame Fortschritte, die auf einem gemeinsamen Verständnis von Demokratie und Beteiligung beruhen. Von diesem Verständnis ist der Antrag der CDU leider weit entfernt.

[Beifall bei den GRÜNEN –Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Zum Videomitschnitt meiner Rede am 19.11.2020

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