Engagement neu denken - Perspektiven der Engagementpolitik nach 2015 und 2020

Die Engagementlandschaft in Berlin ist so vielfältig wie die Stadt selbst. Nachbarschaftsinitiativen, Vereine, Plattformen, NGOs, Netzwerke, etablierte und neue Strukturen – ihre Arbeit findet in allen gesellschaftspolitischen Bereichen statt und sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag für das Zusammenleben in Berlin. Genau wie 2015, als flächendeckend die Zivilgesellschaft in vielen unterschiedlichen Projekten und Initiativen Antworten auf die Herausforderung gefunden hat eine größere Zahl gleichzeitig in Deutschland ankommender Geflüchteter aufzunehmen und zu integrieren, reagieren heute in der Bewältigung der Corona-Pandemie und ihrer sozialen Folgen zivilgesellschaftliche Organisationen mit großem nachbarschaftlichem und solidarischem Engagement, knüpfen breite zivilgesellschaftliche Bündnisse und engagieren sich in professionellen Arbeitsstrukturen. Gleichzeitig zeigen sie damit auch auf, wo es hakt, auch für das Engagement selbst.

Seit 2015 hat sich das Selbstverständnis von Engagement verändert: es ist sichtbarer, vielfältiger, politischer und digitaler geworden. Auch das politische Verständnis von Engagement ist heute ein anderes als noch vor einigen Jahren: Engagement wird als System- und Demokratierelevant betrachtet. Obwohl sich die Rahmenbedingungen für zivilgesellschaftliches Engagement in den letzten Jahren verbessert haben, bleibt immer noch viel zu tun. Die (angekündigten) Kürzungen im Bundesprogramm „Demokratie Leben“ haben einmal mehr aufgezeigt wie fragil und wenig an den realen Bedarfen von NGOs ausgerichtet die aktuellen Förderstrukturen sind. Und die Debatte um den drohenden Entzug der Gemeinnützigkeit für NGOs, die sich politisch engagieren, Menschenrechtsarbeit betreiben, verweist auf eine große Schieflage, denn Engagement ist auch Demokratiearbeit.

Ziel der von Susanna Kahlefeld, Sprecherin für Partizipation und Beteiligung und Bettina Jarasch, Sprecherin für Integration und Flucht konzipierten vierteiligen Online-Diskussion-Reihe war, gemeinsam mit Expert*innen und der Zivilgesellschaft das neue Selbstverständnis von Engagement und ein neues politisches Verständnis von Engagement zu diskutieren sowie konkrete Forderungen an Politik und Verwaltung für eine gute Engagementpolitik zu entwickeln, damit Engagement einen zukunftsfähigen und dauerhaft (nicht nur in Krisenzeiten) tragfähigen Rahmen erhält.

 

Unterstützungsstrukturen neu denken

Das Angebot an Beratungs- und Unterstützungsstrukturen in Berlin muss politisch mehr Förderung bekommen, es ist nicht ausreichend. Engagement braucht Unterstützungsstrukturen, insbesondere dezentrale, unterschiedliche, auch in Bezug auf zunehmende Digitalisierung. Migrantenorganisationen müssen in die bestehenden Engagementstrukturen konsequent einbezogen werden, um nach Jahren des Bestehens endlich davon zu profitieren, diasporische Arbeit ist wahrzunehmen, Gründungshilfen für Vereine von Geflüchteten, digitales Engagement ist anerkennen u.v.m. Und es braucht für die verschiedenen Formen von Engagement Zugang zu Infrastruktur (wie Räume und digitale Infrastruktur), Information, Weiterbildung, Vernetzung und Finanzierung.

 

Finanzierung neu denken

Engagement braucht neue Wege der Finanzierung. Es braucht eine strukturelle Unterstützung, Förderung und dauerhafte Absicherung des zivilgesellschaftlichen Engagements über den Bundeshaushalt sowie den Landeshaushalt – unabhängig von politischen Mehrheiten. Dabei müssen nicht nur langfristig Fördermittel erhöht werden, sondern insbesondere auch Förderrichtlinien erweitert und an reale Bedarfe zivilgesellschaftlichen Engagements angepasst werden. Dazu gehört auch eine Modernisierung und Weiterentwicklung des Gemeinnützigkeitsrechtes. Künftig muss klar sein, dass gemeinwohlorientierte NGOs, die sich politisch engagieren und sich dabei im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegen, nicht ihre Steuerbegünstigung verlieren. Des weiteren braucht es Rahmenbedingungen, die die „alternative Finanzierungmöglichkeiten“ – wie z. B. die (partielle) Selbstfinanzierung durch Unternehmen der solidarischen Ökonomie, die Kombination von verschiedenen Finanzierungswegen und Kooperationen mit Unternehmen, die keine Vereinnahmung bedeuten, zu ermöglichen.

 

Engagement gesetzlich fördern und absichern

Engagement braucht nachhaltige und rechtlich verlässliche Rahmenbedingungen. Das bedarf einer gesetzlichen Regelung. Dies könnte in Form eines Landesdemokratiefördergesetzes geschehen, dass sowohl eine Festschreibung von Zielen, Normen, Bedarfsplanungen sowie die Definition von Qualitäts- und Quantitätsstandards als auch Monitoring und Evaluierung beinhaltet. Grundlegend sollte eine aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft bei der Entwicklung und Umsetzung eines solchen Gesetzes sein. Die Forderung nach einem Demokratiefördergesetz für Berlin wird im Grünen Wahlprogramm für die kommende Abgeordnetenhauswahl verankert.

Mit der Landeskonzeption „Demokratie.Vielfalt.Respekt“, als einer Gesamtstrategie für Demokratie, die regelmäßig weiterentwickelt werden soll und mit der gerade fertig gestellten Berliner Engagementstrategie haben wir in Berlin zwei gute Grundlagen für die Entwicklung einer nachhaltigen Demokratieförderung. Ein gangbarer Weg zu einem Demokratiefördergesetz wird im Gutachten „Demokratie dauerhaft fördern. Kompetenzrechtliche Vorgaben für ein Demokratiefördergesetz des Bundes“ beschrieben . Der Autor Prof. Dr. Christoph Möllers kommt bei der verfassungsrechtlichen Herleitung der Bundeskompetenz zu dem Ergebnis, dass sich die Kompetenz des Bundes weniger aus der „Staatsleitungsfunktion“ des Bundes oder der „Natur der Sache“ ergibt, als vielmehr aus der Gesetzgebungskompetenz für die „öffentliche Fürsorge“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz). Im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe haben Kommunen eine Leistungsverpflichtung, die sie gemäß dem Kinder- und Jugendhilfegesetz von freien Trägern erbringen lassen. Insbesondere das Berliner Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz könnte hier eine reiche Fülle an Anregungen und Materialien bieten, die eventuell auch auf Demokratieförderung übertragen werden könnte. Auf Bundesebene fordern wir Grüne bereits seit langem ein Demokratiefördergesetz und haben im September 2020 einen umfangreichen Antrag in den Bundestag eingebracht, der aktuell in den Ausschüssen diskutiert wird.

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